Proteste in Syrien:Armee schießt auf Demonstranten

"Gott, Syrien, Freiheit und sonst nichts": In Syrien sind wieder Zehntausende Regimegegner auf die Straße gezogen. Die Sicherheitskräfte eröffneten das Feuer und erschossen mindestens 24 Demonstranten.

Die syrische Protestbewegung ist auch mit Waffengewalt nicht zu bremsen: "Wir haben keine Angst", skandierten Tausende Menschen am Freitag bei landesweiten Demonstrationen gegen die Regierung von Präsident Baschar al-Assad.

Proteste in Syrien: Die Regierung geht massiv gegen Oppositionelle vor - trotzdem ziehen in Syrien  wieder Tausende auf die Straße. Ein auf Youtube veröffentlichtes Video soll Demonstranten in Deraa zeigen.

Die Regierung geht massiv gegen Oppositionelle vor - trotzdem ziehen in Syrien  wieder Tausende auf die Straße. Ein auf Youtube veröffentlichtes Video soll Demonstranten in Deraa zeigen.

(Foto: AFP)

Doch dessen Sicherheitskräfte schossen wieder auf die Zivilbevölkerung: Mindestens 24 Menschen kamen nach Angaben einer Menschenrechtsorganisation bei den Protesten ums Leben.

Das Innenministerium hatte im Staatsfernsehen erklärt, jegliche "Märsche, Demonstrationen oder Sitzblockaden" seien am Freitag verboten. In der Hauptstadt Damaskus wurden die Bewohner auf Plakaten der Regierung dazu aufgerufen, am Freitag "zu ihrer eigenen Sicherheit zu Hause" zu bleiben.

Die Demonstranten zogen dennoch in großer Zahl für Freiheit auf die Straßen. In mehreren Städten bekundeten sie ihre Solidarität mit den Bewohnern der weitgehend abgeriegelten Protesthochburg Deraa, wo Panzer gegen Demonstranten eingesetzt worden waren.

In Deraa selbst eröffneten Sicherheitskräfte nach Berichten von Augenzeugen das Feuer auf die Demonstranten. Die Menschenmenge sei unterwegs ins Stadtzentrum von Deraa gewesen, um gegen Präsident Baschar al-Assad zu demonstrieren.

Auf Videos von den Kundgebungen, die von Aktivisten im Internet verbreitet wurden, hört man Demonstranten, die "Das Volk will den Sturz des Regimes", "Gott ist groß" und "Gott, Syrien, Freiheit und sonst nichts" rufen.

Armee und Sicherheitskräfte waren zuvor bereits in Stellung gegangen, um Proteste nach den Freitagsgebeten zu verhindern. "Sie schießen auf dich, sobald du das Haus verlässt", sagte ein Bewohner der Nachrichtenagentur Reuters. Ein weiterer Augenzeuge berichtete, ganze Busladungen von Demonstranten aus nahegelegenen Dörfern seien auf dem Weg in die südliche Stadt.

Zu Protesten kam es auch in mindestens einem Vorort der Hauptstadt Damaskus, in der zentral gelegenen Stadt Homs, dem Küstenort Banias sowie im Osten des Landes. In Damaskus fuhren mit Maschinengewehren ausgerüstete Fahrzeuge der Republikanischen Garde auf. Im Al-Meidan-Viertel von Damaskus hätten die Sicherheitskräfte Tränengas gegen die Demonstranten eingesetzt, hieß es.

Soldaten in Kampfmontur patrouillierten auf den Straße um die Hauptstadt, wie ein Augenzeuge sagte. Verschiedene Einheiten der Sicherheitsorgane und Geheimpolizei verstärkten Kontrollposten um die Stadt, wie andere Augenzeugen berichteten. Die Stadt soll offenbar von den Vororten und vom Umland abgeschnitten werden. Telekommunikations- und Stromleitungen wurden den Angaben nach abgeklemmt.

Bewerbung um Sitz im UN-Menschenrechtsrat

In der Stadt Deir al-Zor nahe der irakischen Grenze wurden die Protestierenden nach Angaben der Exil-Opposition mit Schlagstöcken vertrieben. Dutzende von Aktivisten seien festgenommen worden.

Das syrische Staatsfernsehen strahlte unterdessen Bilder von Leichen in der Gerichtsmedizin aus. Dies seien Angehörige der Sicherheitskräfte, die von Terroristen getötet worden seien, sagte ein Sprecher. Zuvor hatte der Sender "Geständnisse" angeblicher Terroristen ausgestrahlt.

Das Regime, das viele Schlüsselpositionen im Sicherheitsapparat mit Angehörigen der alewitischen Minderheit besetzt hat, zu der auch Assad gehört, versucht, die Massenkundgebungen für Reformen und Menschenrechts als Kampagne extremistischer Sunniten darzustellen. Eine unabhängige Berichterstattung über die Protestwelle, die am 18. März begonnen hatte, lässt die syrische Regierung nicht zu.

Menschenrechtsaktivisten zufolge haben die syrischen Sicherheitskräfte seit Beginn der Unruhen mehr als 450 Zivilisten erschossen. Zugleich bewirbt sich Syrien um einen Sitz im UN-Menschenrechtsrat. Westliche Staaten bemühen sich nun intensiv darum, den Einzug des Landes in das Gremium zu verhindern.

Am Freitag billigte der UN-Menschenrechtsrat jedenfalls Ermittlungen zur blutigen Niederschlagung der Proteste. Zudem wurde die syrische Regierung aufgefordert, umgehend alle politischen Gefangenen freizulassen und die Beschränkungen für Journalisten und das Internet aufzuheben.

Der Rat kam am Freitag zu einer Sondersitzung zur Lage in Syrien zusammen. Bei der Abstimmung über ein gemeinsames Vorgehen gegen das Assad-Regime sprachen sich 26 Mitgliedsländer dafür aus, mögliche Menschenrechtsverletzungen in Syrien zu untersuchen. Neun waren dagegen und sieben enthielten sich. Fünf Länder hatten die Abstimmung boykottiert.

Angesichts des Widerstands etlicher arabischer und afrikanischer Länder wurde der Entwurf der EU und der USA über eine von der UN geleitete Untersuchung zu möglichen Menschenrechtsverletzungen in Syrien allerdings nur in abgeschwächter Form angenommen.

China, Russland, Nigeria und Pakistan hatten zuvor argumentiert, eine Untersuchung könne als Einmischung in die inneren Angelegenheiten Syriens missverstanden werden.

Das Auswärtige Amt gab am Freitag eine Reisewarnung für Syrien heraus. Damit wurden die Reise- und Sicherheitshinweise für das von Unruhen erschütterte Land im Nahen Osten auf die höchste Stufe verschärft. Deutschen, die sich noch in Syrien aufhalten, empfiehlt das Ministerium die sofortige Ausreise mit kommerziellen Flügen, so lange dies noch möglich und sicher ist.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: