Proteste in Iran:Die Neda-Revolte

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Der gefilmte Tod von Neda Soltani zeigt: Das Regime in Teheran hat die Kontrolle über die Bilder verloren. Die Twitter-Revolution hat in Iran eine ähnliche Wirkung wie die Fernsehberichte aus dem Vietnamkrieg für die USA.

Andrian Kreye

Nun hat die Revolte einen Namen: Neda. Es ist unmöglich, das Internetvideo von Neda Soltani nüchtern und objektiv anzusehen, die kurze Sequenz, in welcher der Vater der jungen Frau und ein Arzt versuchen, das Leben der 26-jährigen Iranerin zu retten, die am vergangenen Samstag auf einer Straßenkreuzung in Teheran niedergeschossen wurde. Sie beginnt zu bluten, verliert das Bewusstsein. In diesen Sekunden oder kurze Zeit später ist sie gestorben.

Die Revolution hat einen Namen bekommen: Menschen demonstrieren in den Straßen Teherans nach dem Tod von Neda Soltani. (Foto: Foto: AFP)

Niemand kann sagen, ob sie ins Kreuzfeuer geraten ist, oder ob sie gezielt erschossen wurde. Sicher ist nur, dass sie eine Unbeteiligte war. Kurze Zeit später war die Sequenz im Internetportal Youtube zu sehen. Seither verbreitet sich das Video vor allem über den Kurznachrichtendienst Twitter in alle Welt.

Das Video von Neda ist nicht der einzige bewegende Kurzfilm, den die Twitter-Nachrichten verlinken. Unter dem Titel "Student dies after police shooting in Isfahan's students' dorm" sieht man das Sterben eines jungen Mannes, das noch dramatischer ist, als die Sequenz mit Neda. Und die Aufnahme "Students shot in front of a camera" zeigt, wie mutig die jungen Iraner sind. Da bewerfen sie ein Gebäude mit Steinen, Schüsse fallen, die Menge flieht, ein junger Mann fällt getroffen aufs Pflaster. Sekunden später eilen ihm schon Freunde zur Seite, schütteln die Fäuste in Richtung Gebäude.

Für Iran hat die sogenannte Twitter-Revolution eine ähnliche Wirkung, wie die Fernsehberichte aus dem Vietnamkrieg für die USA und ihre westlichen Alliierten. Weil die Machthaber die Kontrolle über die Bilder verloren haben, gewinnt der Widerstand in der Gesellschaft nicht nur an Bedeutung, es formiert sich auch eine weltweite Solidaritätsbewegung.

Der Vietnamkrieg hat einen gesellschaftlichen Wandel ausgelöst, der die gesamte westliche Welt erfasste und in den Staaten des Warschauer Pakts die Keimzellen für die Umwälzungen von 1989 legte. Es ist schwer zu sagen, was die Unruhen in Iran für den Rest der Welt bedeuten, was die Revoltierenden und die Solidaritätsbewegungen verändern werden und wo. Die Rezeption der Unruhen in Europa und Amerika erzählt jedenfalls mehr über uns, als über die Situation in Iran.

Es sind ja nicht nur Empörung und Betroffenheit, die die Videos auslösen. Eine Sehnsucht wird hier angesprochen, Teil einer gesellschaftlichen Bewegung zu werden, in der sich Relevanz und Wirkung von 1968 wiederfinden. Und so ertappt man sich dabei, dass man im Netz vor allem nach den Parallelen greift, die man zwischen den gesellschaftlichen Bewegungen um das Jahr 1968 herum in Europa und Amerika und den aktuellen Unruhen in Iran nur ziehen kann.

Die Bilder vom Vater und dem Arzt, die neben der sterbenden Neda knien, erinnern an das Bild von Friederike Hausmann, die neben dem sterbenden Benno Ohnesorg kniet, und an das Bild der weinenden Mary Ann Vecchio, die auf dem Gelände der Kent State University neben dem sterbenden Studenten Jeffrey Glenn Miller kniet.

Solidarität mit einem Klick

Und handelt es sich bei den Aufständischen in Iran nicht um eine junge Generation, die den gesellschaftlichen Wandel nicht zuletzt dadurch erzwingen könnte, weil sie ein neues, relevantes Jugendmedium beherrscht? 1968 war das relevante neue Medium die Rockmusik. Heute sind es die Social Media des Internets, Facebook, Twitter und die Blogs.

Selbst der Generationenkonflikt scheint sich zu ähneln. 1968 erhob sich eine Jugendkultur aus der Sicherheit des Wohlstandes gegen eine Generation, die in den Ländern der Alliierten aus dem Zweiten Weltkrieg als "Greatest Generation" gefeiert und nur in Deutschland und Österreich als Generation des Dritten Reiches aus dem Bewusstsein geschwiegen wurde.

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Mindestens ein Dutzend Tote, Hunderte Verhaftungen und ein Video, das um die Welt geht. Nach einer Woche des Protests in Iran steht nur eines fest: Die Zukunft des Gottesstaates ist ungewiss. Die Krise in Bildern.

In Iran erhebt sich 21 Jahre nach dem ersten Golfkrieg zwischen Iran und Irak eine westlich orientierte Jugend aus einem erst aufkeimenden Wohlstand gegen eine Generation, die nicht nur den verheerenden Krieg überlebt, sondern auch die islamische Revolution von 1979 zum Sieg gebracht hat. Die vertrauten Bilder und Strömungen lassen sich wunderbar in die vertrauten Denkmuster einer zweigeteilten Welt einfügen. Eine mutige Jugend gegen ein feiges Regime. Die mathematische Vernunft des Internets gegen den Fanatismus der Moscheen. Die unschuldige Neda gegen Ahmadinedschad, den antisemitischen Atomkrieger in spe. Das ist alles so richtig wie schlicht. Graubereiche stören in solchen Schwarzweißbildern nur.

Das Ende der Geschichte

Ist es wichtig, dass Oppositionsführer Mir Hussein Mussawi von 1981 bis 1988 Premierminister von Iran war, also während eines grausamen Krieges, in dem sein Land Zehntausende minderjähriger Soldaten mit Märtyrermythen in den sicheren Tod schickte? Spielt es eine Rolle, dass Mussawi die Atompolitik Ahmadinedschads weiterführen würde? Kann man von Demokratie sprechen, wenn das relevante Massenmedium eines Landes eben nicht das Internet, sondern die Kanzel ist?

Für die Aufständischen in Iran geht es um viel mehr als nur um Politik. Egal, was bei einer Neuauszählung der Stimmen herauskäme - die Durchsetzung eines demokratischen Grundrechtes könnte eine Initialzündung für gesellschaftliche Veränderungen sein, die sich vielleicht erst in Jahren verwirklichen lassen.

Von einer Revolution sprechen sie ja nicht, denn eigentlich geht es vor allem darum, die Ungerechtigkeiten der letzten 56 Jahre zu revidieren - den CIA-gesteuerten Putsch gegen Mohammad Mossadegh, die Diktatur des Schahs, das Dogma der Ayatollahs. Und es geht darum, die universalen Grundrechte mit den Werten der iranischen Gesellschaft zu vereinbaren. Das sind existentielle Fragen. Allerdings sind sie nicht die unseren.

Nie aber war die Simulation weltgeschichtlicher Relevanz so einfach, wie in den Social Media des Internets. Um sich für die Solidarität zu engagieren, muss man nicht einmal das Haus verlassen. Da reicht schon ein Klick, mit dem man sein Icon, das kleine Symbolbild, mit dem man sich auf Facebook oder Twitter präsentiert, mit einer grünen Schleife versieht oder grün einfärbt. Denn Grün ist die Farbe der Mussawi-Anhänger. Oder man tauscht das eigene Bild gleich gegen das jetzt schon ikonographische Passbild der getöteten Neda Soltani. Auf Hilfswebseiten geht das automatisch.

Auch die unreflektierte Solidarität mit Freiheitskämpfern ist ein Teil der Kultur von 1968. Was damals das Palästinensertuch war, ist heute das grüne Icon. Den Solidaritätsbesuch im Entwicklungsland kann man sich dagegen sparen. Jetzt kann man gemeinsam mit Gleichgesinnten iranische Geheimdienstler auf Twitter und Facebook aufspüren oder subversive Twitter-Nachrichten weiterleiten. Und da liegt vielleicht der Unterschied zu 1968.

Die Proteste gegen den Vietnamkrieg haben auch in Europa Veränderungen in Gang gesetzt. Was bewegt unsere Solidarität für Iran außer unsere Gemüter? Vielleicht haben wir die Studenten von Teheran bald genauso vergessen, wie die Mönche von Rangun, die Orangene Revolution in der Ukraine, die "kleinen Generäle" der Intifada.

Für uns Bürger der Wohlstandsländer war die Rebellion 1968 noch ein Akt der Überzeugung. Die ist uns seither jedoch fremd geworden. Heute ist der Widerstand oft nur noch eine Pose des Pop. Längst haben Werbung und Marketing diese Posen entdeckt. Finden wir sie nun in der echten Revolte, wird vor allem unsere Sehnsucht neu geweckt. Denn für das Gros der europäischen Bürger dreht sich der politische Kampf heute nicht um fundamentale Rechte, sondern um Wohlstandsprivilegien.

Die aktuelle Erosion des Mittelstandes ist ein langsamer, bürokratischer Prozess, in dem es nicht um Leben und Tod, sondern um Lebensqualität und Wohlbefinden geht. Nirgendwo hat sich das Ende der Geschichte doch noch bewahrheitet, nur in den wohlhabenden Ländern Europas. Deswegen fehlt uns die Katharsis echter Rebellion.

© SZ vom 24.06.2009/woja/gba - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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