Proteste in Hongkong:Die Stadt als Labor

REUTERS PICTURE HIGHLIGHT

Ein Demonstrant im Hongkonger Finanzdistrikt, im Hintergrund Rauschschwaden von Tränengas: Wie wird Peking auf die Proteste reagieren?

(Foto: REUTERS)

Die Führung in Peking hat allen Grund, die Demonstrationen in Hongkong zu fürchten. Mit harscher Rhetorik schafft sie sich Feinde für Jahrzehnte. Anderswo handelt sie kompromisslos, wie wird sie in Hongkong reagieren? Die Antwort wird auch davon abhängen, für wie ansteckend sie die Proteste hält.

Kommentar von Kai Strittmatter

Hongkong brodelt. Aber nein, nicht alle Hongkonger stehen nun auf gegen Peking. Die Solidarität mit Chinas Führern demonstrieren in diesen Tagen vor allem Hongkongs milliardenschwere Unternehmer. Es hat schon seinen Grund, warum sich Peking die Milliardäre zu Partnern gemacht hat; sie haben alle Geschäftsinteressen in China, sind im Zweifelsfall käuflich und erpressbar.

Andererseits zeigt diese nur auf den ersten Blick merkwürdige Koalition auch, was aus der Kommunistischen Partei Chinas selbst geworden ist, die doch einst als Avantgarde der Entrechteten begann. Unlängst richtete eine Pekinger Delegation den Hongkonger Bürgern aus, die von ihnen gewünschte Demokratie könne man ihnen leider schon deshalb nicht garantieren, weil es Pekings Job sei, in Hongkong "den Kapitalismus" zu bewahren.

Selbst wenn die Pekinger es ernst meinen: Der Schutz des Kapitalismus und der Schutz seiner reichsten Vertreter sind noch immer zwei unterschiedliche Dinge. Gerade in Hongkong lässt sich das gut studieren: wie schlechtes Regieren ein einstiges Muster an Effizienz, Rechtsstaatlichkeit und freier und fairer Marktwirtschaft langsam kaputt machen kann.

Wenn Schüler und Studenten nun den Unterricht boykottieren, wenn die einst so braven Bürger Hongkongs auf die Straße gehen, dann einerseits natürlich, weil sie sich betrogen fühlen. Weil Peking sein Versprechen nicht halten will, das es einst gegeben hat, 1997, bei der Rückkehr Hongkongs nach China: das Versprechen auf freie und allgemeine Wahlen.

Peking hat allen Grund, den Protest der Jungen zu fürchten

Aber es ist nicht nur eine abstrakte Liebe zur Demokratie, ein idealistisches Verlangen, das die Hongkonger auf die Straße treibt - es ist die ganz konkrete Erfahrung der vergangenen Jahre: Sie fühlen sich zunehmend miserabel regiert. Peking lässt in Hongkong als Regierungschefs Puppen einsetzen, die nur einem verpflichtet sind: der KP in Peking, nicht den Bürgern. Und so haben sich schleichend Nepotismus und Korruption breitgemacht. Gehör finden die Interessen der Immobilien-Tycoone, nicht aber die der einfachen Bürger. Die soziale Ungleichheit ist extrem gewachsen.

Es ist ein Kampf von David gegen Goliath. Peking hat die Macht, Peking hat die Waffen. Die Frage ist, wie klug Peking reagiert. Alles ist denkbar. Die Führung um Xi Jinping legt an anderen Fronten im Moment eine erschreckende Kompromisslosigkeit an den Tag. In Hongkong haben sie durch harsche Rhetorik und Drohungen in den letzten Monaten die Bürger erst recht mobilisiert und eine ganze Generation von Jugendlichen zu Gegnern gemacht. Es sind die Jungen, die die Proteste antreiben.

Man fragt sich, was die KP reitet: Sie schafft sich gerade neue Feinde für die nächsten Jahrzehnte. Man fragt sich zudem, wozu sie fähig wäre: Droht am Ende auch in Hongkong Gewalt wie 1989 auf dem Tiananmen-Platz in Peking? Die Antwort wird auch davon abhängen, für wie ansteckend Peking die Proteste hält. Hongkong war schon früher ein Labor für China. Das aber fürchtet die KP.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: