Analyse:Reise ins ukrainische Chaos

Violence Escalates As Kiev Protests Continue

Ukraine: Demonstranten auf dem Maidan in Kiew

(Foto: Getty Images)

Auf den Plätzen toben heftige Kämpfe, in Verhandlungszimmern suchen Diplomaten nach Auswegen: Wie die Außenminister Polens, Frankreichs und Deutschlands mit Rückendeckung aus Brüssel in Kiew versuchen, zwischen den verfeindeten Blöcken zu vermitteln.

Von Daniel Brössler

Radosław Sikorski, der Außenminister Polens, hat schon einiges erlebt. Ende der Achtzigerjahre war er als Journalist in Afghanistan mit den Mudschaheddin unterwegs. Seine Fotografien gewannen damals Preise. Am Donnerstag um kurz vor elf Uhr ukrainischer Zeit twittert dieser Außenminister, der einmal Journalist war, ein leicht verwackeltes Bild in die Welt hinaus, offenbar aus der fahrenden Limousine heraus geschossen. Es zeigt Uniformierte, schwer bewaffnet und mit Helm.

"Schwarzer Rauch, Explosionen und Gewehrschüsse rund um den Präsidentenpalast. Treffen an einen anderen Ort verlegt. Die Offiziellen in Panik", schreibt Sikorski. Mit dem Polen sind der Deutsche Frank-Walter Steinmeier und der Franzose Laurent Fabius unterwegs. Sie wollen an Regierung wie Opposition appellieren, die Gewalt zu stoppen. Was die drei Außenminister schließlich erleben, ist eine Reise ins Chaos. "Wir sehen die Situation außer Kontrolle", sagt Oppositionsführer Vitali Klitschko nach einem Treffen mit dem Trio.

Am Vormittag meldet eine Nachrichtenagentur schon, die Außenminister des sogenannten Weimarer Dreiecks seien ohne eine Begegnung mit Präsident Viktor Janukowitsch abgereist, nur Minuten später aber wird klar: Nach einer Irrfahrt durch Kiew empfängt Janukowitsch die Minister doch. Das Trio muss nicht nach Brüssel zum eilig einberufenen Außenministertreffen fliegen, ohne mit der zentralen Figur der Krise gesprochen zu haben.

Gespräch zieht sich stundenlang hin

Stundenlang dauert das Gespräch. Viel länger als ursprünglich geplant. Trotzdem scheint es zunächst nicht viel zu sein, was der Pole, der Deutsche und der Franzose nach Brüssel melden können. Von ernsthaften Konzessionen, die Janukowitsch gemacht haben könnte, dringt zumindest nichts an die Öffentlichkeit. Das Gespräch findet abgeschirmt statt. Nicht einmal die Mitglieder der offiziellen Delegation dürfen die Sicherheitskontrolle passieren.

In Brüssel geht es derweil um Sanktionen, die zu diesem Zeitpunkt in der EU keineswegs unumstritten sind. Schon am Mittwoch hatten die Botschafter über das Für und Wider gestritten. Vor allem von den südeuropäischen Ländern wurden Bedenken angemeldet. Zu berücksichtigen sind auch rechtliche Fragen, denn Strafmaßnahmen gegen Einzelpersonen müssen vor Gericht Bestand haben.

Darum geht es auch am Donnerstag wieder, als die Verhandlungen weitergeführt werden. Immer wieder müssen Rechtsexperten die Botschafter darüber aufklären, was geht und was nicht geht.

Agieren der EU ist ein Spagat

Im Raum steht schließlich eine Formulierung, die Spielraum lässt. "Im Lichte der sich verschlechternden Situation", lautet sie, "hat die EU entschieden, im Eilverfahren gezielte Maßnahmen gegen die Verantwortlichen für die Gewalt und den exzessiven Einsatz von Sicherheitskräften zu verhängen." Die USA haben da bereits Einreiseverbote für 20 Ukrainer ausgesprochen, die für die Gewalttaten in der Nacht zum Mittwoch verantwortlich sein sollen. Eine solche europäische Liste, so viel wird klar, wird mehr Zeit beanspruchen. Zunächst einmal sollen die Kriterien aufgestellt werden. Umstritten ist zunächst auch die Natur der Sanktionen. Im Gespräch sind Einreiseverbote und Kontensperrungen. Es müsse auch ein Waffenembargo geben, fordert der österreichische Außenminister Sebastian Kurz. "Die Situation ist dramatisch. Wir brauchen ein einheitliches Vorgehen der Europäischen Union", verlangt er.

Der britische Außenminister William Hague beschreibt die Entscheidung derweil als Spagat: "Wir brauchen jetzt eine starke internationale Antwort. Wir müssen uns aber auch die Fähigkeit erhalten, eine friedliche Lösung zu suchen", sagt er. Eines aber ist den Außenministern klar - ohne eine Einigung und ein deutliches Signal aus Brüssel würde sich die EU blamieren, hatten doch Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident François Hollande schon am Vortag verkündet, dass an Sanktionen nach dem Blutvergießen in Kiew kein Weg mehr vorbeiführt. Und so werden denn auch während der Sitzung der Außenminister die Zweifel überwunden. Die Ressortchefs einigen sich auf Einreiseverbote und das Einfrieren von Konten."Wir verurteilen aufs Schärfste die Anwendung von Gewalt", stellen sie fest.

Während die Minister noch auf ihre Kollegen aus Kiew warten, wird bekannt, dass Merkel nach einem Telefonat mit Kremlchef Wladimir Putin am Vorabend an diesem Donnerstag nun auch Janukowitsch angerufen hat, um "die Bereitschaft der EU, Deutschlands und weiterer Partner" zu erklären, "Gespräche von Regierung und Opposition zu unterstützen". Die "Hauptverantwortung" für die Eskalation, soll sie Janukowitsch gesagt haben, liege bei der Regierung.

EU-Trio übernachtet in Kiew

Im Brüsseler Ratsgebäude verstärken die Berichte von immer mehr Toten die Ratlosigkeit. "Wir verurteilen aufs Schärfste die Anwendung von Gewalt", steht in den vorbereiteten Beschlüssen. Niemand behauptet aber zu wissen, wie die Katastrophe von Kiew noch gestoppt werden kann. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso spricht dennoch vor Beginn des Krisentreffens tapfer von einem "breiten Konsens der Mitgliedstaaten, wie in dieser Sache gehandelt werden muss". Ganz so klar scheint das nicht zu sein. Als der schwedische Außenminister Carl Bildt, sonst nie um eine scharfe Stellungnahme verlegen, das Ratsgebäude betritt, zeigt er sich wortkarg: "Die Ereignisse könnten sich in eine noch schlimmere Richtung entwickeln als ohnehin schon", sagt er nur.

Als die Sitzung ihrem Ende entgegen geht, weilt das deutsch-französisch-polnische Trio immer noch in der Ukraine. Man werde in Kiew übernachten, lassen sie die Kollegen in Brüssel wissen. Es gebe Ansätze für eine Lösung, an diesem Freitag sollen die Gespräche fortgesetzt werden. Angesichts der Lage in Kiew ist schon das eine gute Nachricht.

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