Süddeutsche Zeitung

Proteste in der Ukraine:Neuer Gouverneur von Donezk kündigt friedliche Lösung an

"Schlecht vorbereitet und populistisch": Der neue Gouverneur von Donezk kritisiert Entscheidungen des Parlaments in Kiew - obwohl er von dort eingesetzt wurde. Er will die Krise im Osten der Ukraine gemeinsam mit den prorussischen Separatisten beseitigen.

Von Cathrin Kahlweit, Donezk

48 Stunden hat der ukrainische Innenminister den Separatisten in Donezk und Lugansk gegeben: 48 Stunden, dann würden die von ihnen nach wie vor besetzten Gebäude geräumt werden. Die Frist von zwei Tagen, sagte Arsen Awakow am Mittwoch in Kiew vor einer Kabinettssitzung, wolle man für Verhandlungen nutzen. Wenn dann jedoch keine Lösung gefunden sei, würden die prorussischen Aktivisten im Osten des Landes "die ganze Härte des ukrainischen Staates zu spüren bekommen".

In Donezk hieß es daraufhin am Mittwoch, man werde nicht weichen. "Wir bleiben bis zum bitteren Ende", rief einer der Separatisten. "Nein, bis zum Sieg", korrigierte ein anderer. Vor dem Verwaltungsgebäude der Stadt, das seit Sonntag besetzt ist, waren allerdings mehr zu Barrikaden gestapelte Autoreifen zu sehen als Demonstranten; immer wieder warnten Redner vor dem "Feind" und davor, sich provozieren zu lassen - doch der Feind zeigte sich bislang nicht.

Am Vorabend waren es die Studenten der Stadt gewesen, die sich laut Warnung der separatistischen "Regierung der souveränen Republik Donezk" zu einer Gegendemonstration angekündigt hatten, doch kein Student ließ sich sehen. In der Nacht zum Mittwoch dann war es ein angeblich bevorstehender "Sturm" der ukrainischen Spezialeinheiten gewesen, auf den man sich vorbereitet hatte - und von dem einige auf dem Platz zu wissen vorgaben, dass er zwingend kommen und sie alle zu Märtyrern machen würde. Aber auch die Polizei blieb vorerst fern. Ein paar Uniformierte bewachen seit Tagen die Zufahrt. Warum sie nicht eingreifen? "Die schlagen doch niemanden und reden nur", sagt schulterzuckend ein junger Polizist.

Auf der Suche nach einer Lösung ohne Blutvergießen

Der neue, von Kiew eingesetzte Oligarch und Gouverneur Sergej Taruta, der sich ungeachtet der angespannten Lage bisher nicht öffentlich geäußert hatte, gab angesichts drängender Fragen dann am Mittwoch in Donezk eine Pressekonferenz. Die Besetzer hätten berechtigte Sorgen, sagte er sichtlich gelassen, sie fürchteten sich vor einer Verschlechterung ihrer Lebensverhältnisse und seien empört über "schlecht vorbereitete und populistische Entscheidungen" des Parlaments in Kiew. Er verhandele mit den Leuten, sagte Taruta, und sei sicher, dass eine Lösung ohne Blutvergießen gefunden werde.

Zwei der Separatisten seien ihm persönlich bekannt; nun werde eine "gemeinsame Plattform" für die Beilegung der Krise gesucht. Dass auch politische Forderungen von den prorussischen Aktivisten geäußert werden, spielte Taruta herunter; hier äußere sich ein - allerdings nicht repräsentativer Teil - der Donezker Bürger, sagte der Gouverneur, deren Protest man ernst nehmen müsse. Taruta fügte hinzu, er sei sicher, dass die Gebietsverwaltung geräumt werde, bevor das Ultimatum der Regierung in Kiew ausläuft. Worauf er seinen Optimismus gründete, machte der Unternehmer und Neu-Politiker allerdings nicht deutlich.

Unklares Bild der Lage in der Ostukraine

Angespannt bleibt derweil auch die Lage in Lugansk, wo bewaffnete Aktivisten am Sonntag ein Gebäude des Geheimdienstes SBU besetzt hatten und die Barrikaden täglich verstärken. Unbestätigt blieben jedoch Berichte, die Separatisten hätten Geiseln genommen und diese nach Verhandlungen später freigelassen. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters bestritten überdies sowohl die Separatisten als auch die Polizei eine Geiselnahme. Auch die prorussischen Kräfte in Lugansk, die nach eigenen Angaben aus Kriegsveteranen, Grenzpolizisten und Zivilisten bestehen, fordern die Abhaltung eines Referendums in der Ostukraine, mit dem so schnell wie möglich über eine Abspaltung von der Ukraine abgestimmt werden soll.

In Kiew hat die Partei der Regionen, die vor dem Umsturz die Regierung stellte, mittlerweile einen Gesetzesentwurf eingebracht, der eine Amnestie für die ostukrainischen Separatisten vorsieht. Ein Abgeordneter der Partei der Regionen argumentierte, ein solches Gesetz könne dazu beitragen, die Spannungen abzubauen und Blutvergießen zu vermeiden. Der Leiter der Präsidialverwaltung, Sergej Paschinski, sagte jedoch, Spezialkräfte des Innenministeriums seien sowohl in Donezk als auch in Lugansk in Stellung gebracht und würden, wenn nötig, entsprechend dem Gesetz vorgehen, das terroristische Aktivitäten unter Strafe stellt.

Allerdings ist es für alle Beteiligten schwierig, sich ein klares Bild der Lage in der Ostukraine zu verschaffen; Gerüchte und Verschwörungstheorien über verminte Gebäude, eingeschleuste Militäreinheiten und Waffenlager jagen einander. Während in Lugansk Polizei und Geheimdienst, aber auch einzelne Abgeordnete mit den Besetzern öffentlich zu kommunizieren versuchen, ist in Donezk weder vom neuen Gouverneur, dem Stahlmagnaten Sergej Taruta, noch von dem aus Kiew entsandten Verhandler etwas zu sehen. Über den Vorplatz vor der Gebietsverwaltung hallen derweil sowjetische Propaganda-Musik und alte Märsche, in denen vom unzerstörbaren Russland die Rede ist, vom Kampf gegen fremde Tyrannen und davon, dass auf Amerika und Europa gespuckt wird. Ein paar Hundert Menschen wiegen sich dazu im Takt.

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SZ vom 10.04.2014/uga
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