Süddeutsche Zeitung

Proteste in der Ukraine:Der Präsident schlägt zurück

In der Ukraine nutzt die Regierung das Abflauen der Proteste, um ein neues Gesetzespaket durchzubringen: Es schränkt die Bürgerrechte drastisch ein, Nichtregierungsorganisationen sollen in Zukunft als "ausländische Agenten" verfolgt werden können. Die Opposition droht unter dem Druck zu zerbrechen.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Die Opposition sprach von einem "Staatsstreich", die inhaftierte ehemalige Premierministerin Julia Timoschenko von einer "Kriegserklärung an das eigene Volk". Und tatsächlich gleicht die lange Reihe der Gesetze, die das ukrainische Parlament mit der Mehrheit der Regierungsparteien am Donnerstag in einem beispiellosen Durchmarsch und ohne Aussprache durchpaukte, einer Kampfansage gegen die westlich orientierte Protestbewegung "Euro-Maidan".

Am späten Donnerstagabend unterschrieb Staatspräsident Viktor Janukowitsch dann nach Angaben seines Büros jene Gesetzestexte, mit denen der Volksaufstand der vergangenen Wochen erstickt werden soll. Zuvor hatten westliche Politiker noch an den Präsidenten appelliert, ein Veto gegen die Einschränkung der Demonstrations-, Versammlungs- und Pressefreiheit einzulegen. Im Westen war das Entsetzen über das Vorgehen der ukrainischen Staatsmacht am Tag nach der chaotischen Parlamentssitzung groß; die EU, die OSZE und die Vereinigten Staaten protestierten empört gegen die Unterminierung demokratischer Rechte.

Sechs Wochen lang hatten sich Demonstranten im Kiewer Zentrum sowie in anderen ukrainischen Städten gemeinsam mit mehreren Oppositionsparteien für einen verstärkten Westkurs ihres Landes eingesetzt. Sechs Wochen lang hatten Regierung und Staatspräsident beteuert, man werde keine Gewalt gegen die Regierungsgegner anwenden.

Nichtregierungsorganisationen sollen als ausländische Agenten verfolgt werden

Nun aber will man die Protestbewegung offenbar auf legalem Wege kleinkriegen. Die Haftdauer für die Blockade von Regierungsgebäuden wird verlängert; Vermummungen auf Demonstrationen sowie Verleumdung und "extremistische Aufrufe" werden unter Strafe gestellt. Die Teilnahme an nicht genehmigten Autokorsos wird mit Führerscheinentzug bestraft.

Nichtregierungsorganisationen, die sich auch mithilfe ausländischer Unterstützer finanzieren, sollen in Zukunft nach russischem Vorbild als "ausländische Agenten" verfolgt werden können. Auch die Rechte von Abgeordneten werden eingeschränkt; sie sollen ihre Immunität schneller verlieren und somit schneller verhaftet werden können. Gerichtsprozesse dürfen in Abwesenheit der Angeklagten durchgezogen werden. Die Zeitung Sewodnja kommentierte am Freitag, das Parlament habe innerhalb einer halben Stunde "das Land verändert". Ukrainische Experten sprechen von einem "Polizeistaat".

Mehr als tausend marschierten zum Palast, die Münder verklebt

In Reaktion auf die Beschlüsse, die im Parlament, der Werchowna Rada, per Handzeichen durchgepeitscht worden waren, marschierten am Freitag mehr als tausend Demonstranten vom Maidan zum Präsidentenpalast. Wie schon in den Wochen zuvor riefen sie "Weg mit der Bande", und trugen Plakate mit der Aufschrift: "Die Diktatur wurde legalisiert." Viele Demonstranten hatten ihre Münder verklebt, um gegen den Verlust der Meinungsfreiheit zu protestieren.

Auf dem Maidan, dem zentralen Platz in Kiew, hatten während der Feiertage und bis weit ins neue Jahr hinein zwar weiterhin Zehntausende Menschen dagegen protestiert, dass ihre Regierung im November die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU abgesagt und sich stattdessen ökonomisch und politisch wieder stärker Russland zugewandt hatte. Zuletzt aber war, bei aller Begeisterung für die Kraft der Bewegung und ihre gemeinsamen Ziele, unter den Aktivisten verstärkt die Frage aufgekommen, wie man die Regierung zum Rücktritt zwingen und erreichen könne, dass sie den Westkurses wieder aufnimmt.

Ein erstes Misstrauensvotum gegen die Regierung war im Dezember im Parlament gescheitert, ein zweites, das erst wieder im Februar verfassungsrechtlich möglich wäre, gilt angesichts der derzeitigen Entwicklung als aussichtslos.

Zuletzt hatten sich zahlreiche zivilgesellschaftliche Gruppen auf neue Protestformen verlegt. So gab es "Auto-Maidans", bei denen Demonstranten zu den pompösen Landsitzen von Politikern fuhren und dort protestierten. Via Facebook und Flugblatt wurden Listen publiziert, auf denen festgehalten wurde, welche Oligarchen welche Reichtümer gehortet hätten, wer mutmaßlich korrupt sei oder Geldwäsche betreibe.

Unter dem Druck zerbricht die Oppossition

Die "Familie" von Staatspräsident Janukowitsch, wie eine mit ihm assoziierte Gruppe von Wirtschaftsmagnaten genannt wird, wurde öffentlich angeprangert - mit der Aufforderung, deren Produkte zu boykottieren. Der Politikwissenschaftler Andreas Umland, der in Kiew an der Mohyla-Akademie lehrt, sieht in diesen neuen Protestformen einerseits kreative Ansätze, mit denen die Autorität des Staates und seiner Vertreter weiter geschwächt werden könne, andererseits aber auch das Indiz für eine gewisse Ratlosigkeit. "Die Aktivisten wissen nicht, was sie sonst tun können; viele hoffen auch weiter auf eine Spaltung der Partei der Regionen."

Tatsächlich ist noch nicht klar, wie die politische Opposition auf die drakonischen Gesetze reagiert, mit denen die Regierung die Situation wieder unter Kontrolle bekommen will. Vitali Klitschko, Chef der Udar-Partei, fordert nach wie vor den Rücktritt Janukowitschs sowie vorgezogene Parlaments- und Präsidentenwahlen; aber das dürfte vorerst Rhetorik bleiben. Schon zeichnet sich unter dem wachsenden Druck eine Spaltung der bisher gemeinsam agierenden Opposition ab; erste Angriffe gegeneinander werden laut.

So wird dem Chef der Batkiwschtschyna-Partei, Arsenij Jazenjuk, vorgeworfen, er habe von den Regierungsplänen Ende November für eine gewaltsame Räumung des Maidan gewusst. Der Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko, die mittlerweile ein Drittel ihrer Haftstrafe abgesessen hat und sich gern mehr in die politische Debatte einmischen würde, wurde unterdessen die Genehmigung für zahlreiche Interviews verweigert.

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SZ vom 18.01.2014
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