Kairo: Suleiman trifft Opposition:Tauziehen um Ägyptens Zukunft

Es sind die ersten Verhandlungen nach Tagen des Massenprotests in Ägypten: Noch immer demonstrieren in Kairo Tausende Menschen, doch gleichzeitig sucht das Mubarak-Regime nun gemeinsam mit der Opposition eine Lösung der Krise. Eine zentrale Rolle spielt dabei die verbotene Muslimbruderschaft. Währenddessen wird spekuliert, Präsident Mubarak könnte nach Deutschland ausreisen.

Nach fast zweiwöchigen Massenprotesten hat die ägyptische Opposition erstmals Gespräche mit dem Regime von Präsident Hosni Mubarak aufgenommen. Mubaraks neu ernannter Stellvertreter Omar Suleiman traf sich am Wochenende in unterschiedlichen Runden mit Vertretern der Demonstranten.

Die USA und Europa drängten auf eine Übergangslösung, in der Mubarak nicht sofort zum Rücktritt gezwungen wird. Dafür solle sich der Machthaber zunächst aus der Öffentlichkeit zurückziehen, hieß es in US-Regierungskreisen. Als eine Möglichkeit dafür wurde eine Ausreise Mubaraks nach Deutschland diskutiert, wo der 82-Jährige in den vergangenen Jahren wiederholt medizinisch behandelt wurde. Die Bundesregierung bestätigte die Überlegungen zunächst nicht. Das Auswärtige Amt erklärte lediglich, diese Frage stelle sich nicht.

Die New York Times zitierte aber US-Regierungskreise mit der Aussage, der Präsident könne wie bereits in der Vergangenheit zu einer längeren medizinischen Untersuchung nach Deutschland kommen und damit in Würde vom Schauplatz der Massenproteste gegen seine Herrschaft verschwinden. Mubarak hatte sich zuletzt im vergangenen Jahr in Heidelberg operieren lassen.

Der Vorsitzende des Bundestags-Ausschusses für Außenpolitik, Ruprecht Polenz, zeigte sich in einem Interview mit Reuters offen für eine medizinische Behandlung Mubaraks in Deutschland. Der CDU-Politiker betonte aber, dass jede Entscheidung über die politische Zukunft des Präsidenten Sache der Ägypter sein müsse. Auch andere Koalitionspolitiker befürworteten ein Exil Mubaraks in Deutschland, wenn dies helfe, die Lage in Ägypten zu stabilisieren.

Vize-Präsident Suleiman suchte in den Gesprächen mit der Opposition eine Lösung der Krise. Das staatliche Fernsehen zeigte am Sonntag Bilder von seinem Zusammentreffen mit mehreren Vertretern der Opposition, darunter der verbotenen Muslimbruderschaft. Die Runde kam in einem Saal zusammen, an dessen Stirnseite ein Porträt-Bild Mubaraks prangte.

Bei den Gesprächen wurde die Gründung eines Komitees vereinbart, das binnen eines Monats Veränderungen an der Verfassung ausarbeiten soll. Ein Regierungssprecher sagte in Kairo, das Gremium solle bis Anfang März entsprechende Vorschläge zur Änderung der Verfassung unterbreiten.

Die Atmosphäre der Gespräche sei positiv, sagte Raschad Bajumi von der Bruderschaft dem Fernsehsender Al-Arabija. Mit am Tisch saßen auch Mitglieder säkularer Oppositionsgruppen und ein Vertreter des international geschätzten Friedensnobelpreisträgers Mohamed ElBaradei, der eine "Nationale Koalition für den Wandel" gebildet und seine Bereitschaft zur Leitung einer Übergangsregierung signalisiert hat. Suleiman suchte am Wochenende auch das Gespräch mit Vertretern der Jugend, die einen Großteil der Demonstranten stellt. Am Samstag traf er sich zudem mit dem sogenannten "Rat der Weisen", in dem sich unabhängige Vertreter der Opposition für eine Lösung einsetzen.

Die Muslimbrüder, deren Mitglieder seit Tagen in großer Zahl auf dem Kairoer Tahrir-Platz demonstrieren, hatten anfangs erklärt, sie stünden erst nach Mubaraks Rücktritt für einen Dialog zur Verfügung. Am Sonntag schickten sie dann aber doch ihren Sprecher Mohammed Mursi sowie Saad al-Katatni, ein Mitglied ihres Leitungsrates, zu Suleiman. Auch mehrere westliche Regierungen, die in den vergangenen Jahren enge Beziehungen zu Mubarak gepflegt hatten, befürworten inzwischen einen Dialog mit den Muslimbrüdern.

Die Führung der Muslimbruderschaft hatte nach Medienberichten zufolge zuvor eine konkrete Agenda für die Gespräche mit Suleiman festgelegt: Neben dem Rücktritt Mubaraks soll die Delegation demzufolge auch die Auflösung des Parlaments und die Bildung einer Übergangsregierung fordern. Ferner wollen die Muslimbrüder, dass die Gewalttaten gegen Demonstranten untersucht und die Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden. Außerdem müsse das Recht auf friedlichen Protest und die freie Berichterstattung der Medien garantiert werden.

Das öffentliche Leben liegt brach

Das öffentliche Leben lag auch am ersten Werktag der dritten Protestwoche brach: Zwar öffneten rund 340 Banken im Land erstmals seit Tagen wieder ihre Schalter. Die Servicezeiten blieben jedoch auf wenige Stunden beschränkt und es bildeten sich lange Schlangen vor den Instituten. "Nun habe ich noch eine Stunde bevor die Banken wieder dicht machen und ich habe noch immer nicht das Geld abheben können, das ich brauche", klagte in Kairo der 62-jährige Soad Mohammed. Viele Menschen haben Angst, dass wegen der Proteste keine Löhne mehr gezahlt werden. Insgesamt blieb die Lage angespannt.

Kairo: Suleiman trifft Opposition: Auch die Muslimbruderschaft hat sich mittlerweile den Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo angeschlossen.

Auch die Muslimbruderschaft hat sich mittlerweile den Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo angeschlossen.

(Foto: AP)

Auf dem Sinai gab es einen Anschlag auf eine Gas-Pipeline, über die Israel und Jordanien mitversorgt werden. In staatlichen Medien hieß es, es handele sich um einen Terroranschlag. Zugleich gab es Gerüchte, Suleiman sei Ziel eines Anschlags gewesen. Geheimdienstvertreter in Kairo wiesen dies zurück.

USA und Europa fordern Übergangsprozess

Auf dem Tahrir-Platz in Kairo weigerte sich weiterhin eine Großzahl von Demonstranten zu weichen, solange Mubarak die Macht nicht aus der Hand gibt. Die USA und Europa nehmen offenbar aber zunehmend Abstand von einer schnellen Ablösung des Staatschefs. US-Außenministerin Hillary Clinton und Bundeskanzlerin Angela Merkel warnten bei der Münchner Sicherheitskonferenz vor einem überstürzten Vorgehen. Die Vorbereitung einer Wahl und die Entwicklung neuer Strukturen brauche Zeit, sagte Merkel und verwies dabei auf Erfahrungen mit dem Umbruch zum Ende der DDR. "Es ist wichtig, den Übergangsprozess zu unterstützen, den die faktisch vom jetzigen Vize-Präsidenten Omar Suleiman geführte Regierung angekündigt hat'", sagte Clinton.

Die US-Regierung ging aber gleichzeitig auf Distanz zum Ägypten-Sondergesandten von Präsident Barack Obama, Frank Wisner. Der hatte auf der Sicherheitskonferenz in München betont, dass Mubarak auch weiter eine zentrale und entscheidende Rolle spielen müsse. Wisner habe nur seine persönlichen Ansichten geäußert, sagte Außenamtssprecher Philip Crowley in Washington dem Fernsehsender CNN zufolge. "Er hat seine Bemerkungen nicht mit der US-Regierung abgestimmt."

Noch am Samstag hatte Mubarak sich staatsmännisch im staatlichen Fernsehen mit seinen Ministern gezeigt, während gleichzeitig die Führung seiner Partei NDP zurücktrat, darunter auch sein Sohn Gamal und Generalsekretär Safwat al-Scherif. Die Partei präsentierte sofort eine neue Riege von Führungspersönlichkeiten, die größtenteils dem Reformflügel angehören. Dies wird als Anzeichen gedeutet, dass die alte Garde nicht freiwillig das Handtuch warf.

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