Proteste in Ägypten dauern an:"Wir werden Millionen sein"

Von Tunesien lernen, heißt siegen lernen: In Ägypten bereiten sich Regierungsgegner mit Hilfe von Online-Netzwerken auf einen zweiten Protesttag vor. Doch die Regierung will keine weiteren Demonstrationen dulden - in Kairo hat die Polizei bereits zugeschlagen.

"Geht nicht zur Arbeit, geht nicht in die Schule. Lasst uns alle Hand in Hand für unser Ägypten auf die Straße gehen", schreibt ein Ägypter an diesem Mittwochmorgen auf Facebook. "Wir werden Millionen sein." Einen Tag nach den heftigsten Protesten gegen den ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak seit mindestens 30 Jahren haben Regierungsgegner zu neuen Versammlungen aufgerufen.

Doch die Regierung hat bereits angekündigt, keine weiteren Demonstrationen zu dulden. "Sollte sich jemand nicht daran halten, dann werden sofort die gesetzlichen Maßnahmen eingeleitet und Ermittlungen gegen die Teilnehmer aufgenommen", sagte ein Sprecher des Innenministeriums.

In der Hauptstadt Kairo brachte die Regierung Tausende Polizisten in Stellung. Wie schon am Dienstag bewachen die Beamten große Straßenkreuzungen und Plätze, die Brücken über den Nil, das Gebäude des staatlichen Fernsehens und den Sitz der regierenden Nationaldemokratischen Partei. Als sich vormittags auf dem zentralen Tahrir-Platz in Kairo etwa 50 Menschen zu Protesten zusammenfanden, schlugen Polizisten sofort zu. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen verließen die Menschen anschließend den Platz.

"Der Anfang vom Ende"

"Erlebt Ägypten gerade seinen Tiananmen-Moment?", kommentiert ein Nutzer auf dem Kurznachrichtendienst Twitter zynisch die Vorgehensweise der Polizei, die auch schon in der Nacht auf Mittwoch mit Tränengas und Wasserwerfern gegen die Menschen auf dem Tahrir-Platz vorgegangen waren. Bei den zum Teil gewaltsamen Protesten am Dienstag waren drei Demonstranten und ein Polizist getötet worden. In Ägypten gilt seit 1981 der Ausnahmezustand, Großdemonstrationen werden von der Polizei normalerweise rasch beendet.

Diesmal jedoch könnte es anders sein: Auf Facebook rufen die Demonstranten bereits zu einem weiteren Protesttag auf. Das soziale Netzwerk ist eines der wichtigsten Mittel, mit denen sich die Teilnehmer koordinieren: Sie haben dafür eine eigene Gruppe gegründet. Der Name: "25. Januar, Tag des Kampfes gegen Folter, Armut, Korruption und Arbeitslosigkeit". Daneben ist ein Bild zu sehen, es ist eine Kombination aus Adlerkopf und Faust. Das Datum stehe für "Leben, Freiheit und Menschenwürde" heißt es weiter auf der Seite, die Proteste markierten den "Anfang vom Ende".

Die Seite hat inzwischen fast 21.000 Fans. In regelmäßigen Abständen halten die Administratoren diese über die aktuellen Geschehnisse bei den Protesten in Kairo auf dem Laufenden: Unter anderem weisen sie darauf hin, wo die Polizei gerade Tränengas einsetzt und gewaltsam gegen Demonstranten vorgehen soll.

Auch über den Online-Dienst Twitter hatten sich die Demonstranten mit Hilfe des Schlagwortes #jan25 - als Anspielung auf den 25. Januar - ausgetauscht. Hatten, wohlgemerkt. Denn inzwischen hat der Kurznachrichtendienst bestätigt, dass die Seite am Dienstagnachmittag in Ägypten blockiert wurde. Twitter deutet nur indirekt an, dass die Regierung hinter dieser Sperre stecken könnte: "Wir glauben, dass sowohl die Gesellschaft also auch die Regierung vom freien Austausch von Informationen und Ansichten profitiert", schreibt der Kurznachrichtendienst im zweiten Teil seiner Stellungnahme.

USA unterstützen Mubarak

Dennoch scheint es manchen Nutzern zu gelingen, die Sperre zu umgehen. Im Minutentakt laufen Nachrichten ein, die zum Teil nach Angaben der Nutzer auch aus Ägypten kommen: "Twitter mag ja blockiert sein, aber unsere Regierung unterschätzt die Fähigkeiten kluger Leute, diese Sperre zu umgehen. Siehe Tunesien", schreibt einer. Ein anderer schreibt: "Vielen Dank an die ägyptische Regierung, dass sie die Macht des Volkes unterschätzt. Was wir begonnen haben, wird nicht enden, bevor wir unsere Würde zurückhaben." Und wieder ein anderer hat ein Foto hochgeladen, das zeigt, wie die Demonstranten die Innenstadt von Kairo vereinnahmt haben.

Protesters clash with riot police in downtown Cairo

Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Demonstranten in der Innenstadt von Kairo: Im Internet finden sich Aufrufe zu einem zweiten Protesttag, die Regierung indes kündigte an, dagegen mit aller Härte vorgehen zu wollen.

(Foto: REUTERS)

Das ist es denn auch, was die Opposition eint: der Kampf gegen die Regierung von Präsident Mubarak, der seit 30 Jahren an der Macht ist. Unter den Demonstranten befinden sich Berichten zufolge sowohl Bürger, die zum ersten Mal gegen Korruption und die wirtschaftliche Situation auf die Straße gehen, als auch islamistische Gegner der Regierung Mubarak. "Es geht nicht darum, dass der Islam die Lösung ist", zitiert die New York Times einen Beobachter. Die großen ideologischen Linien seien bei den Protesten bislang nicht sichtbar geworden.

Unterstützung für Mubarak kommt unterdessen aus den Vereinigten Staaten: Die USA haben der politischen Führung des Landes ihr Vertrauen ausgesprochen und gleichzeitig beide Seiten zu Ruhe und Gewaltverzicht aufgefordert. Die Regierung des 82-Jährigen sei "stabil" und tue ihr Bestes, den Forderungen der Demonstranten entgegenzukommen, sagte Außenministerin Hillary Clinton bei einer Pressekonferenz in Washington. Das autoritäre Regime in Ägypten zählt zu den wichtigsten Verbündeten der USA in der arabischen Welt - und soll es auch bleiben.

Bisher argumentieren Mubaraks Unterstützer damit, dass die Umstände, die in Tunesien vor knapp zwei Wochen zum Umsturz geführt haben, ganz andere gewesen seien als in Ägypten. Und die israelische Zeitung Jediot Achronot bemerkt, dass es auch keinen Grund für eine Reisewarnung gebe: Schließlich hätten die ägyptischen Sicherheitskräfte einige Erfahrung darin, Demonstrationen zu unterdrücken.

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