Proteste im Gazastreifen:Erneut Palästinenser erschossen

Palestinian demonstrators burn a banner showing a representation of an Israeli flag and pictures of Netanyahu, Lieberman, Trump, and bin Salman during a protest at the Israel-Gaza border, in the southern Gaza Strip

Palästinenser demonstrieren an der Grenze des Gazastreifens.

(Foto: REUTERS)
  • Bei neuen Massenprotesten an Israels Grenze zum Gazastreifen sind mindestens 950 Palästinenser verletzt worden.
  • Es ist der dritte Freitag in Folge, an dem Tausende Palästinenser an mehreren Stellen entlang der Grenze des Gazastreifens protestieren.
  • Fünf ehemalige israelische Scharfschützen drücken in einem offenen Brief "Scham und Trauer" über die Gewalt gegen Demonstranten aus.

Ein Junge liegt bewusstlos auf dem Boden, ein Sanitäter beugt sich über ihn. Eine Frau mit Palästinenserflagge hält sich zum Schutz ein Tuch vor den Mund. Im Hintergrund eine meterhohe Wand aus Rauch. Aktuelle Bilder aus dem Gazastreifen zeigen den dritten Freitag in Folge, an dem es heftige Massenproteste gibt. Innerhalb weniger Stunden wurden mehr als 950 Palästinenser verletzt. Ein 28-Jähriger sei an einer Schusswunde im Bauch gestorben, teilte das palästinensische Gesundheitsministerium am Abend mit. Etwa 120 weitere Menschen erlitten ebenfalls Schusswunden. Die meisten Verletzten litten den Angaben zufolge nach dem Einsatz von Tränengas an Atembeschwerden. Ein Sanitätszelt sei direkt von einer Tränengasgranate getroffen worden, zehn Sanitäter hätten Atembeschwerden bekommen.

Es ist der dritte Freitag in Folge, an dem Tausende Palästinenser an mehreren Stellen entlang der Grenze des Gazastreifen protestieren. Bilder von den Protesten zeigen Männer, Frauen und Kinder, die Autoreifen verbrennen.

Rund 10 000 Palästinenser nahmen nach Angaben der israelischen Armee an fünf Stellen entlang der Grenze an Protesten teil. Sie hätten neben Autoreifen auch israelische Fahnen verbrannt. Palästinenser hätten auch Brandsätze geworfen. Es gebe organisierte Versuche, die Grenzanlage zu beschädigen oder zu durchbrechen.

Seit Ende März sind bei Massenprotesten entlang der Gaza-Grenze 35 Palästinenser getötet worden, Hunderte erlitten Schussverletzungen. Israels Armeesprecher Jonathan Conricus erklärte, man bemühe sich, die Opferzahlen möglichst gering zu halten. "Aber wir können es einer Horde von Randalierern nicht erlauben, nach Israel einzudringen."

Ein weiterer ranghoher israelischer Militärangehöriger sagte am Freitag, die meisten der getöteten Palästinenser seien "Terroristen" gewesen. Auch der vor einer Woche getötete Fotojournalist Jassir Murtadscha habe ein Gehalt von der radikal-islamischen Hamas erhalten. Entsprechende Vorwürfe Israels waren von palästinensischer Seite vehement dementiert worden. Der Tod des Journalisten hatte weltweit für Empörung gesorgt. Arabischen Medienberichten zufolge wurden weniger als eine Woche nach seinem Tod zwei weitere Journalisten von Kugeln in Brust und Arme getroffen.

Ehemalige Scharfschützen fühlen "Scham über die Befehle"

Israel hat Vorwürfe von Menschenrechtsorganisationen, es gehe zu hart gegen die Palästinenser-Proteste vor, entschieden zurückgewiesen. Nach Angaben der Armee haben Soldaten Anweisungen, nur auf die Beine von Palästinensern zu schießen, sofern der Grenzzaun beschädigt oder eigene Soldaten gefährdet werden.

Anlass des "Marsches der Rückkehr", der bis Mitte Mai dauern soll, ist der 70. Jahrestag der Gründung Israels. Für die Palästinenser bedeutet Israels Freudentag eine Katastrophe, weil 1948 Hunderttausende Palästinenser fliehen mussten oder vertrieben wurden. Forderungen der heute rund fünf Millionen Flüchtlinge und Nachkommen auf ein "Recht auf Rückkehr" auf israelisches Staatsgebiet lehnt Israel ab.

Fünf ehemalige israelische Scharfschützen drückten in einem offenen Brief "Scham und Trauer" über die Vorfälle an der Gaza-Grenze aus. Die Mitglieder der Organisation Breaking the Silence (Das Schweigen brechen) kritisierten in dem Schreiben "militärische Befehle, die es Scharfschützen erlauben, scharfe Munition auf unbewaffnete Demonstranten zu feuern". Sie fühlten "Scham über die Befehle, denen es an moralischem und ethischem Urteilsvermögen mangelt, und Trauer über die jungen Soldaten, die - wie wir sehr gut aus eigener Erfahrung wissen - für immer die Szenen mit sich herumtragen werden, die sie durch das Visier ihrer Gewehre gesehen haben".

Der Gazastreifen gehört zu den Palästinensischen Autonomiegebieten, seine Grenzen kontrolliert Israel. Die restriktive Genehmigungspraxis für Einfuhren und die Übervölkerung der Region verschärfen die humanitäre Notlage der Menschen im Gazastreifen: Mehr als die Hälfte der Bevölkerung hat nicht genug zu essen, die Arbeitslosenquote liegt bei etwa 40 Prozent.

Im Westjordanland, das zum Teil ebenfalls zu den Palästinensischen Autonomiegebieten gehört, verübten mutmaßliche jüdische Extremisten in der Nacht zum Freitag einen Brandanschlag auf eine Moschee. Die Täter hätten die Eingangstür des muslimischen Gebetshauses in dem Dorf Akraba nahe Nablus in Brand gesetzt, teilte die israelische Polizei mit. Außerdem hätten sie in hebräischer Schrift die Worte "Rache" und "Preisschild" auf eine Wand gesprüht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: