IsraelEx-Soldaten und Reservisten stellen sich gegen Angriffe auf Gaza

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Mit Bildern des entführten Edan Alexander demonstrieren Israelis in Jerusalem für die Freilassung der Geiseln, die Terroristen der Hamas im Gazastreifen festhalten.
Mit Bildern des entführten Edan Alexander demonstrieren Israelis in Jerusalem für die Freilassung der Geiseln, die Terroristen der Hamas im Gazastreifen festhalten. (Foto: Ronen Zvulun/REUTERS)

In Israel unterschreiben Hunderte Reservesoldaten und ehemalige Militärangehörige Protestbriefe gegen den Krieg.  Von der Hamas verlangen sie die sofortige Freilassung der Geiseln – und von der eigenen Regierung, die Attacken einzustellen.

Von Kristiana Ludwig, Tel Aviv

Seit vier Wochen kämpft die israelische Armee wieder in Gaza und unterteilt den Küstenstreifen in Sperr- und Evakuierungszonen für die Zivilisten. Nach UN-Angaben haben Israels Soldaten fast 70 Prozent des Gazastreifens zu Zonen erklärt, die Palästinenserinnen und Palästinenser verlassen sollten. Wer trotzdem bleibt, ist in Gefahr: Ein Großteil der Gebäude und der Infrastruktur ist bereits zerstört oder beschädigt, mehr als 50 000 Menschen starben nach palästinensischen Angaben in diesem Krieg, der mit einem Terrorangriff der palästinensischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 begann.

All die Bomben, die gefallen sind, die Luftaufklärung und die aktuellen Luftangriffe – diesen Krieg führen im Augenblick vor allem Piloten der israelischen Luftwaffe, sagt Elran Duvdevani. Er war selbst viele Jahre einer von ihnen. Noch bis zu seinem sechzigsten Lebensjahr diente er als Reservist in der Armee. Jetzt ist er 65 – und protestiert gegen die Kämpfe in Gaza.

Immer weniger Reservisten erscheinen zum Militärdienst

In der vergangenen Woche veröffentlichten mehr als 900 überwiegend pensionierte Soldaten der israelischen Luftwaffe einen Protestbrief, in dem sie die sofortige Rückkehr der Geiseln forderten, auch wenn Israel dafür die Kämpfe einstellen müsste. 59 Menschen aus Israel befinden sich noch als Geiseln in Gaza, etwas mehr als 20 sollen noch leben. Erst am Mittwoch meldete die islamistische Palästinenserorganisation Hamas jedoch, dass sie nach einem israelischen Angriff den Kontakt zu den Extremisten verloren habe, die den US-Israeli Edan Alexander in ihrer Gewalt hatten. Der Krieg, so sehen es in Israel mittlerweile viele, bringt die Geiseln eher in Gefahr, als dass er ihnen hilft.

„Derzeit dient der Krieg hauptsächlich politischen und persönlichen Interessen und nicht Sicherheitsinteressen“, heißt es in dem Brief, den auch Duvdevani unterschrieben hat. Medien zufolge waren neben pensionierten Soldaten auch 60 Reservisten unter den ersten Unterzeichnern. Also jene Bürger Israels, die neben ihren alltäglichen Pflichten immer wieder Militärdienst leisten, auch in Gaza. Diese Reservisten waren es, die sich nach dem 7. Oktober in großer Zahl meldeten und dienten – und von denen nun immer weniger zum Militärdienst erscheinen, wie etwa der israelische Kanal 11 berichtet.

Der Krieg, meinen viele in Israel, gefährde die Geiseln eher, als dass er ihnen hilft: Zerstörung im nördlichen Gazastreifen nach den Angriffen in der Nacht zum Mittwoch.
Der Krieg, meinen viele in Israel, gefährde die Geiseln eher, als dass er ihnen hilft: Zerstörung im nördlichen Gazastreifen nach den Angriffen in der Nacht zum Mittwoch. (Foto: Bashar Taleb/AFP)

Dem Protest der ehemaligen Angehörigen der Luftwaffe schlossen sich seit der vergangenen Woche Hunderte weitere Ex-Soldaten und Reservisten an, etwa solche, die der Aufklärungseinheit im israelischen Militär angehört hatten. Diese Gruppe veröffentlichte einen eigenen, ähnlich lautenden Brief. Hier heißt es ebenfalls: „Wir sehen mit Besorgnis die Abwanderung von Reservesoldaten und die ständig steigenden Quoten der Nichtmeldungen für die Reserven und sind besorgt über die zukünftigen Auswirkungen dieses Trends.“

Seit Wochen gehen die Angehörigen von Geiseln auf die Straße

In ihrem Schreiben heißt es, die Regierung habe keine Verantwortung für die Angriffe und Entführungen am 7. Oktober 2023 übernommen und gebe nicht zu, „dass sie keinen Plan und keine Lösung für die Krise hat, schon gar nicht mit militärischen Mitteln, wie sich in den vergangenen anderthalb Jahren gezeigt hat“.

Auch Kulturschaffende unterstützen mittlerweile diese Form des Protests. Berichten zufolge forderten 350 israelische Autoren und Autorinnen ein Ende des Krieges, genauso wie rund 600 Architekten, Ingenieure und Stadtplaner. Auf den Straßen in mehreren Städten Israels gibt es ohnehin seit Wochen Proteste gegen die Wiederaufnahme der Kämpfe, vor allem von Angehörigen der Geiseln. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu äußerte sich bislang ablehnend gegenüber den Protestierenden und nannte sie „eine kleine, laute, anarchistische und unzusammenhängende Gruppe von Rentnern, von denen ein großer Teil seit Jahren nicht mehr gedient hat“.

Das Problem einer schwindenden Truppe, die in Gaza den Krieg weiterführen soll, thematisierte allerdings auch der kürzlich neu eingesetzte Armeechef Eyal Zamir. Die Zeitung Jedi’ot Acharonot berichtete am Montag, dass Zamir die Regierung davor gewarnt habe, dass die Armee aufgrund eines gravierenden Mangels an Kampftruppen nicht in der Lage sein werde, alle ihre Aufgaben zu erfüllen. Dieser Bericht löste demnach auch wütende Reaktionen von Reservisten aus, die aktuell noch in Gaza im Einsatz sind, während Tausende orthodoxe Juden in Israel weiter vom Militärdienst verschont bleiben. Den Konflikt um den streng gläubigen Teil der Gesellschaft, der seine Kinder nicht zur Armee schicken will, gibt es in Israel schon lange – doch ein Mangel an Soldaten in einem anhaltenden Krieg verschärft ihn jetzt.

Eran Duvdevani sagt, es gehe bei den aktuellen Protestbriefen um eine moralische Frage: „Ich habe Mitleid mit dieser palästinensischen Bevölkerung.“ Die Armee ist derzeit an unterschiedlichen Orten Gazas im Einsatz, die Menschen können kaum einschätzen, wo sie sich noch aufhalten können, um Angriffen zu entgehen: „Sie haben keine Gewissheiten und keinen Ort, an den sie fliehen können“, sagt Duvdevani. Aus den Berichten der zurückgekehrten Geiseln wisse man außerdem, dass sie besonders hart behandelt würden, sobald die Armee näher rücke, dass dies sogar zu ihrer Ermordung führen könne. Offiziell gehört die Befreiung der Geiseln zu den Kriegszielen in Gaza. Duvdevani und Tausende andere Israelis fordern, dass sie jetzt zur obersten Priorität der Regierung wird – und dass sie dafür die Waffen ruhen lässt.

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