Georgien:Machtwechsel trotz Protest

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Georgiens neuer Präsident Michail Kawelaschwili ist am Sonntag im Parlament vereidigt worden. (Foto: IRAKLI GEDENIDZE/AFP)

Nach einer umstrittenen Wahl legt Michail Kawelaschwili den Amtseid als Präsident ab. Das bisherige Staatsoberhaupt Surabischwili hat den Amtssitz verlassen, Tausende gehen auf die Straße.

Von Andrea Bachstein

Ungeachtet des Protests Tausender Demonstranten hat Georgiens neuer Präsident Michail Kawelaschwili am Sonntag seinen Amtseid abgelegt. Viele der Protestierenden vor dem Parlament in Tiflis hielten rote Karten in der Hand in Anspielung darauf, dass Kawelaschwili früher Profifußballer war. Der 53-Jährige wurde als Präsident von der russlandfreundlichen Regierungspartei Georgischer Traum aufgeboten und am 14. Dezember vom Parlament in einer Abstimmung gewählt, an der die Oppositionsparteien aus Protest nicht teilgenommen hatten.

Der Amtsantritt Michail Kawelaschwilis verschärft den innenpolitischen Konflikt zwischen der Regierung und ihren Gegnern. Die bisherige prowestliche Präsidentin Salome Surabischwili erkennt die Legitimität ihres Nachfolgers nicht an, ebenso wie die Teilnehmer der seit Wochen anhaltenden Massenproteste gegen die Regierung in Tiflis und anderen Städten des südkaukasischen Landes. Es kam im Verlauf der Proteste immer wieder zu brutalen Übergriffen der Sicherheitskräfte, Demonstranten und Oppositionelle wurden festgenommen. Die Protestierenden hatten ihrerseits die Polizei mit Feuerwerkskörpern angegriffen.

Die Demonstrierenden zweifeln zum einen den rechtmäßigen Verlauf und das Ergebnis der Parlamentswahl Ende Oktober an, bei welcher die von dem Milliardär Bidsina Iwanischwili gegründete Partei Georgischer Traum die absolute Mehrheit erreicht haben soll. Zum anderen verlangen sie, dass die Regierung ihre Entscheidung zurücknimmt, die Verhandlungen über den von vielen Georgiern herbeigesehnten Beitritt in die EU bis 2028 auszusetzen.

Salome Surabischwili hat entgegen früheren Ankündigungen den Amtssitz des Staatsoberhaupts geräumt, sagte am Sonntag aber, dass sie ihre Legitimität mitnehme. Die Regierungspartei Georgischer Traum hatte Surabischwili mit Gefängnis gedroht, sollte sie den Amtssitz des Staatsoberhaupts im Zentrum von Tiflis nicht verlassen. Auch vor dem Präsidentensitz hatten sich seit dem Morgen Tausende Menschen versammelt, um Surabischwili zu unterstützen.

Sie dringt weiterhin auf Neuwahlen, und kündigte an, sie werde ihren Kampf gegen die derzeitige Regierung auf der Straße fortsetzen. Gleichzeitig forderte sie ihre Anhänger auf, die Massenproteste fortzusetzen. „Diese Parodie, die jetzt im Parlament läuft, das ist eine echte Parodie, die das Land nicht verdient hat“, sagte Surabischwili der Nachrichtenagentur dpa zufolge über die Amtseinführung Kawelaschwilis.

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Der neue Präsident beschwor laut der BBC nach dem Ablegen des Amtseids die Traditionen und Werte sowie die nationale Identität Georgiens. Er sprach von der „Heiligkeit“ der Familie und des Glaubens. Die Geschichte des Landes zeige deutlich, dass nach zahllosen Kämpfen zur Verteidigung des Vaterlandes Frieden immer eines der Hauptziele und einer der Hauptwerte des georgischen Volkes gewesen sei.

Die USA hatten gegen den Gründer des Georgischen Traums am Freitag Sanktionen verhängt. US-Außenminister Antony Blinken begründete dies damit, dass Bidsina Iwanischwili „Georgiens demokratische Zukunft zum Vorteil Russlands“ untergrabe. Auch die Bundesregierung will gegen Georgiens antieuropäische Regierung Schritte einleiten. Bereits vor einigen Tagen hatte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) Gespräche über eine formelle Aussetzung des EU-Beitrittsprozesses für Georgien vorgeschlagen. „In der EU sollten wir aufgrund der immer autoritäreren Politik des ‚Georgischen Traums‘ nun auch über eine förmliche Suspendierung des georgischen Beitrittsprozesses beraten“, teilte das Auswärtige Amt mit.

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Baerbock sagte, es sei an „klare Reformversprechen geknüpft“ gewesen, dass Georgien Ende 2023 EU-Kandidatenstatus erhalten habe. „Doch statt Fortschritten sehen wir alarmierende Rückschritte.“ Das Auswärtige Amt habe aus diesen Gründen die Zusammenarbeit mit den georgischen Behörden heruntergefahren, es seien Unterstützungsprojekte in Höhe von mehr als 200 Millionen Euro ausgesetzt worden. Gleichzeitig berate Deutschland mit den anderen EU-Partnerländern weitere Maßnahmen. Diese reichen laut Baerbock „von der Rücknahme der Visafreiheit für georgische Verantwortungsträger bis hin zu gezielten Sanktionen“.

Nach der Entscheidung der georgischen Regierung, den Weg in Richtung einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union zumindest in den kommenden Jahren nicht weiterzuführen, haben vor allem viele junge Georgier die Sorge, dass sie wegen einer möglichen Wiedereinführung der Visapflicht nicht mehr frei in die EU reisen können.

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