Protestbewegung gegen Donald Trump:Nur eine linke Tea Party kann Trump stoppen

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Amerikas Linke nimmt den Kampf gegen die Trump-Regierung auf. Intellektuelle fordern: Das ideologische Kleinklein muss aufhören und die Demokraten sollten dem Beispiel von Bernie Sanders folgen.

Von Matthias Kolb, Washington

Wochenlang stand das progressive Amerika unter Schock. Doch nun, da die Ära von Donald Trump angebrochen ist, sind andere Töne zu vernehmen. Vom "Widerstand" ist die Rede, die Entstehung einer "liberalen Tea Party" wird diskutiert. Spätestens als beim Frauen-Marsch gegen Trump am vergangenen Samstag weltweit Millionen Frauen und Männer gegen den neuen Präsidenten demonstrieren, ist wieder etwas von Gemeinschaft zu spüren. In stundenlangen Sprechchören vor dem Weißen Haus und auch thematisch. Umweltschutz, Recht auf Abtreibung, Gleichstellung von Mann und Frau, Obamacare, Homo-Ehe - die Liste der Dinge, die vor Trump gerettet werden sollen, ist lang und vielfältig.

Wenn es darum geht, wie sich der Widerstand nun aufrechterhalten lässt, dient vielen die Strategie des politischen Gegners als Blaupause. Seit Dezember kursiert das Google-Dokument "Indivisible: A Practical Guide for Resisting the Trump Agenda", das möglichen Widerstand gegen Trumps Ziele Schritt für Schritt erklärt und sich an der ultrakonservativen Tea Party orientiert, die 2009 als Reaktion auf die Finanzkrise und Obamas Präsidentschaft entstand.

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Entscheidend dabei: Die Gruppen müssen sich lokal organisieren, um ihre Abgeordneten unter Druck zu setzen. Die Strategie soll ebenfalls defensiv organisiert sein: "Die Konservativen haben nicht entschieden, welches Ziel zu priorisieren sei. Sie waren schlicht gegen alles, was Obama vorschlug." So blieb die Bewegung zusammen, entsandte eigene Leute in den Kongress und drängte die Republikaner weiter nach rechts. Erste Ansätze waren beim Frauen-Marsch zu beobachten: Die Teilnehmer sollten die SMS "Women" an die Nummer 40649 schicken, wurden nach Namen und Postleitzahl gefragt und erhielten die Antwort "wir melden uns bald". Die Datenbank zur Mobilisierung wird aufgebaut.

Auch Berkeley-Professor Robert Reich empfiehlt das Handbuch. Der Ex-Arbeitsminister unter Bill Clinton ist mit Youtube-Videos über soziale Ungleichheit und öffentlichen Facebook-Sprechstunden zum Star geworden. "100 Tage Widerstand" heißt Reichs Anti-Trump-Programm, für das jeder täglich eine Stunde investieren müsse, um Leserbriefe zu schreiben oder Freunde zu überzeugen, Produkte von Trump-Spendern zu boykottieren. Reich will, ähnlich wie der Filmemacher Michael Moore die Begeisterung erhalten, die Bernie Sanders im Vorwahlkampf entfacht hat, damit sich die Demokraten von innen erneuern. Beide hoffen, dass der progressive Moslem Keith Ellison im Februar Parteichef wird. Was eine Niederlage für das Establishment um Hillary Clinton wäre.

Mehr Offenheit für radikalere Alternativen und Ideen

Aus Frust über die Partei-Elite suchen immer mehr progressive Bürger nach Alternativen, wie sich US-Politik verändern kann. Am Abend nach Trumps Vereidigung bilden sich lange Schlangen vor dem Lincoln Theatre in Washington. Die Straßenkreuzung, an der Protestierer Steine auf Polizisten warfen, die Gummigeschosse zurückfeuerten, ist nur zehn Blocks entfernt. Knapp 1000 Leute wollen dabei sein bei der "Anti-Inauguration", dem Gipfeltreffen der radikalen Linken mit Naomi Klein, Anand Gopal und Jeremy Scahill.

Das Publikum ist jung, einige Augen sind noch gerötet vom Tränengas. Überall leuchten die pinken "Pussy Hats"-Strickmützen. Bhaskar Sunkara hat den Abend organisiert. Der 27-Jährige gründete 2010 das Vierteljahresmagazin Jacobin, das neomarxistische Ideen bekannter machen will. Tausende verfolgen im Livestream die Debatte über die Anti-Trump-Bewegung. Denn der Sieg des Milliardärs hat auch die Linke überrascht. Denker wie Sarah Leonhard, die mit Sunkara den Essayband "Die Zukunft, die wir wollen" ( Europa-Verlag) herausgegeben hat, sahen in der Sanders-Begeisterung die Früchte des Occupy-Wall-Street-Protests. Sie verwiesen auf Umfragen, wonach eine Mehrheit der unter 30-Jährigen den Kapitalismus ablehnt, und wollten Clintons "falsche Ideen" mit progressiven Forderungen kontern. Doch nun ist alles anders.

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Naomi Klein gibt die Richtung vor: "Es braucht einen radikalen Systemwechsel." Die Autorin von Bestsellern wie "No Logo" und "Die Entscheidung - Kapitalismus vs. Klima", klagt über einen "Putsch der Großunternehmen". Trump hole Multimillionäre wie den Banker Steve Mnuchin oder den Fast-Food-Unternehmer Andy Puzder ins Kabinett, die "durch Ausbeutung der kleinen Leute" reich geworden seien. Der neue Außenminister Rex Tillerson sei mitverantwortlich für die Erderwärmung: "Seine Ölfirma Exxon Mobil hat Pseudowissenschaft finanziert, um strenge Auflagen zu vermeiden."

Den Aktivisten spricht Klein trotzdem Mut zu: "Wir waren dabei, zu gewinnen." Die Gegenreaktion sei so stark, weil der Kampf für 15 Dollar Mindestlohn landesweit voranschreite und internationale Klimaabkommen das Geschäftsmodell von Exxon gefährden würden. Die 46-Jährige warnt: "Wir dürfen uns nicht gegeneinander ausspielen lassen. Vom kleinlichen ,Mein Anliegen ist wichtiger als deins'-Streit profitiert nur einer: Donald Trump."

Der Jubel ist groß, als Klein verkündet, dass Trump gar nicht gewonnen habe: "Clinton hat es vergeigt." Sie fordert eine Richtungsentscheidung: Entweder werden die Demokraten "von deren neoliberalen Unterstützern" befreit, oder die Aktivisten müssten sich abwenden.

Keeanga-Yamahtta Taylor hat das längst getan. Glich die Stimmung zuvor einem Rockkonzert mit lauten "Fuck that"-Rufen, so bringt die Expertin für African American Studies die Menge mit ihrer Analyse zum Schweigen: "Macht euch keine Illusionen. Trumps Politik wird verheerende Folgen haben für die Mittelklasse. Aber ein demokratischer Präsident ist ein Desaster in Zeitlupe."

Taylor, die an der Elite-Uni Princeton lehrt, möchte aufrütteln, damit es sich die Linke nicht zu leicht macht. Es sei gefährlich, das Wahlergebnis damit zu erklären, dass sich weiße Wähler an den Schwarzen für Obamas Präsidentschaft rächen wollten. Diese "Whitelash"-These verbreite den Irrglauben, dass Schwarze von Obama profitiert hätten. Aber 38 Prozent ihrer Kinder lebten weiter in Armut, die Arbeitslosigkeit sei doppelt so hoch. Die Enttäuschung sei zentral für die Geburt der "Black Lives Matter"-Bewegung, über die Taylor ein Buch verfasst hat.

Rassismus sei keine hinreichende Erklärung für Präsident Trump, wenn mehr als 40 Prozent der Wahlberechtigten zu Hause blieben, weil das Zweiparteiensystem keine echte Alternative biete. Taylor betont, dass nur jeder vierte Wähler Trump gewählt habe: "Es ist falsch, dass alle Weißen auf einen Marschbefehl von ihm warten." Umfragen zeigen, dass jeder zweite Weiße Rassismus als drängendes Problem identifiziert. Und sie dokumentieren die Prioritäten der Bürger. 58 Prozent wollten Obamacare durch eine staatlich finanzierte Krankenversicherung ersetzen, und 61 Prozent sind überzeugt, dass die Reichen zu wenig Steuern zahlen. Die Demokraten würden diese Fakten ignorieren, klagt sie: "Sie geben die Schuld an Clintons Niederlage lieber dem FBI, Fox News oder Russland."

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Auch Taylor ist begeistert vom Erfolg des "demokratischen Sozialisten" Bernie Sanders. Der Senator habe gezeigt, dass Millionen nach "mehr Gerechtigkeit" gierten. Doch "Bernie" mache einen Fehler. Indem er sich an die Demokraten binde, "kastriere" er seine "politische Revolution". Für die Afroamerikanerin besteht kein Zweifel: Umverteilung des Wohlstands, gute öffentliche Schulen und ein Gesundheitssystem für alle sind auch mit den Demokraten nicht zu erreichen. Sie beschreibt die Stimmung aus dem Wahlkampf 2016: Das Argument, einen Sieg der gefährlichen Republikaner verhindern zu müssen, reicht nicht mehr. Die Demokraten nennen sich noch "Party of the People", Partei des Volkes, doch die Interessen der Arbeiter vertreten sie nicht mehr.

Klimaschutz, Rassismus, Drogen: Es muss um alles gehen

Für Taylor steht fest: "Wir brauchen neue, unabhängige Organisationen, die alle Rassen und Hautfarben umfassen und solidarisch sind." Die Latinos, die gegen Trumps Mauer protestieren, müssen sich mit Klimaschützern und Gewerkschaften zusammentun. Es liege auch an den Medien, dass viele Probleme als singulär präsentiert würden.

Die Schießereien in Chicago seien ohne die hohe Armut und enorme Segregation nicht zu erklären. Gleichzeitig führe die gleiche Armut dazu, dass die Lebenserwartung weißer Frauen über fünfzig sinke: "Die Gründe sind Suizid, Armut, Drogen - und das im angeblich großartigsten Land der Welt." Für Taylor sind diese Entwicklungen verbunden mit der Heroin- und Schmerzmittel-Epidemie, durch die mehr Amerikaner sterben als durch Verkehrsunfälle. Gepaart mit der Abstiegsangst der Mittelschicht entstehe ein umfassendes Narrativ: Immer mehr Arbeiter verlieren die Perspektive, brauchen mehrere Jobs zum Überleben.

Konkrete Handlungsideen präsentiert Taylor nicht. Sie will die Debatte versachlichen. "In den Sechzigern störten die Gegner des Vietnamkriegs jeden Auftritt von Lyndon B. Johnson. Sie haben ihn zermürbt, und deswegen trat er 1968 nicht mehr zur Wahl an", sagt dagegen der Kriegsreporter Jeremy Scahill von der Investigativ-Website The Intercept. Er spricht über Amerikas Drohnenkrieg und erinnert daran, dass unter Obama auch US-Bürger aus der Luft getötet wurden - ein gefährlicher Präzedenzfall. "Obama hat seine Glaubwürdigkeit missbraucht, um Mord als Mittel der Politik durchzusetzen. Trump kann dort weitermachen." Auch Angst kann motivierend sein, und an Amerikas Atomwaffen will man noch weniger denken.

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Dass die amerikanischen Debatten im Ausland genau verfolgt werden, betont Guardian-Kolumnist Owen Jones. Der Brite ist "aus Solidarität" gekommen und entschuldigt sich für "den ersten britischen Export der Trump-Ära, Nigel Farage": Der frühere Ukip-Chef wurde eben vom Fernsehsender Fox News angeheuert. Weil der Abend auch der Fortbildung dienen soll, berichtet Jones dem Publikum von Marine Le Pen, Geert Wilders und erklärt das Brexit-Votum mit Xenophobie.

Jones, der Bücher über die Dämonisierung der britischen Arbeiterklasse geschrieben hat, warnt davor, von Prinzipien abzuweichen. Es hätte schreckliche Folgen für die Linke weltweit, wenn in den USA niemand mehr die Rechte von Homosexuellen, Arbeitern und Minderheiten verteidigen würde.

Zum Abschluss ruft er ins Publikum: "Die Zukunft Europas und der Welt liegt auf den Schultern der Menschen hier im Saal! Ich will euch nicht unter Druck setzen, aber so ist es." Das ist pathetisch, aber es trifft die Stimmung jenseits des Atlantiks. Für Europäer ist die Frage, ob die US-Linke wirklich die Tea Party kopiert oder eine eigene Strategie entwickelt, wohl nebensächlich. Aber Owen Jones macht dem Publikum deutlich: Die Solidarität mit allen, die Trump entzaubern und seine Agenda stoppen wollen, ist enorm.

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© SZ vom 25.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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