Protest in Iran:Wenn Iraner Kleider tragen

Um einen kritischen Studenten bloßzustellen, zeigt ihn das Regime in Frauenkleidern. Nun streifen sich im Internet Männer Kopftücher über - aus Solidarität und Protest. Mit Video.

S. Klaiber

Es wimmelt von verschleierten Männern auf den Seiten von Facebook, Youtube und Diskussionsforen wie Iranian.com. Überall sind Männer mit strengem schwarzen Tschador, Männer mit bunten Kopftüchern, feixende junge Kerle und sogar ernst dreinschauende Greise zu sehen.

Protest in Iran: Als Reaktion auf das möglicherweise gefälschte Bild des festgenommenen Iraners Majid Tavakoli (rechts), das die iranische Nachrichtenagentur Fars verbreitet,  lassen sich Männer weltweit als Frau verkleidet ablichten.

Als Reaktion auf das möglicherweise gefälschte Bild des festgenommenen Iraners Majid Tavakoli (rechts), das die iranische Nachrichtenagentur Fars verbreitet, lassen sich Männer weltweit als Frau verkleidet ablichten.

(Foto: Screenshot: sueddeutsche.de)

Was aussieht wie Karneval ist in Iran, der Heimat vieler dieser Herren, als unislamisches "Cross-Dressing" nicht nur strafbar. Die Bilderflut ist eine Solidaritätsbekundung mit einem Iraner, der dem Regime ein Dorn im Auge ist: Majid Tavakoli.

Der Student hatte Medienberichten zufolge vergangene Woche am "Tag des Studenten" am Protest gegen die Präsidentschaftswahl im Juni an der Amir-Kabir-Universität in Teheran eine Rede gehalten und war deswegen verhaftet worden.

Echt? Gestellt? Gefälscht?

Tags darauf verbreitete die regierungstreue Nachrichtenagentur Fars ein Foto, auf dem Tavakoli im Frauengewand zu sehen ist. Er habe so verkleidet vor seiner Verhaftung fliehen wollen, hieß es. Die Internetseite der Agentur zeigt das Bild eines jungen Mannes, der traurig zu Boden blickt, eingehüllt in den schwarzen Tschador mit einem hellblauen Tuch darunter. Daneben platziert ist das Bild von Abolhassan Bani-Sadr, dem 1981 gestürzten Präsidenten des Iran, der nach Frankreich geflohen war - angeblich als Frau verkleidet.

Augenzeugen berichten aber, Tavakoli habe sich nicht verkleidet und sei bei der Festnahme sogar geschlagen worden. Die Zeugen und Menschenrechtler vermuten deshalb, das Regime habe Tavakoli entweder nachträglich zu dieser Verkleidung gezwungen, oder das Bild montiert. Ihr Ziel: den Studenten Tavakoli in seinem Aufzug lächerlich zu machen und als Feigling darzustellen - auch durch die Anspielung auf Bani-Sadr.

Solidarität statt Verachtung

Diese Taktik ist nicht aufgegangen, wie man an den vielen Beiträgen und Fotos unter dem Motto "We are all Majid Tavakoli" sieht. Wieder einmal haben regimekritische Iraner die neuen Kommunikationsmedien genutzt, um gegen das Regime zu protestieren. Das ist nicht ungefährlich, aber sicherer, als dafür auf die Straße zu gehen, wo Verhaftung und Prügel von der Polizei drohen.

"Diese Kampagne ist ein wunderbares Beispiel für Soft Power", sagt Philipp Holtmann von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Er halte solche Aktionen der Opposition in Iran für "sehr, sehr wirksam". Vor dem Internetzeitalter mit seinen Möglichkeiten, relativ anonym zu arbeiten, sei solche Kritik am Regime unmöglich gewesen. "Hätte jemand so etwas auf Flugblättern verbreitet - die Leute wären wahrscheinlich gefunden und gehängt worden", sagt er.

"Digitaler Protest genügt nicht"

Christoph Bieber vom Zentrum für Medien und Interaktivität der Universität Gießen dagegen bewertet solche Aktionen skeptischer. Sie brächten zwar Aufmerksamkeit, aber: "Digitaler Protest genügt nicht. Er muss mit dem politischen Prozess verkoppelt werden."

Protest in Iran: Viele Frauen haben Präsident Ahmadinedschads Konkurrent Mussawi unterstützt. Sie trugen grüne Kopftücher, die Farbe der Oppositionsbewegung.

Viele Frauen haben Präsident Ahmadinedschads Konkurrent Mussawi unterstützt. Sie trugen grüne Kopftücher, die Farbe der Oppositionsbewegung.

(Foto: Foto: AFP)

Überraschende Diskussion

Bieber verweist außerdem darauf, dass es die Form des Protests, die Demonstration im Internet, weltweit schon lange gebe. Die Aktivisten in Iran knüpften an ältere Vorbilder an. Die Verwendung der Farbe Grün als Merkmal der Demonstranten sei eine Abwandlung der Blue Ribbon Campaign in den neunziger Jahren. Damals hatten sich Internetnutzer für die Freiheit der Meinung und der Rede in neuen Medien eingesetzt. Ihr Symbol: eine blaue Schleife.

Inhaltlich aber hat die Kopftuch-Kampagne eine überraschende Nebendiskussion ausgelöst: über das Kopftuch und den Wert der Frau. Denn nach Auffassung der Regimegegner sollte Tavakoli als Mann abgewertet werden, indem man ihn in Frauenkleider steckte. Nun zeigen sich Männer offensiv in Frauenkleidung. "Der Vorwurf wird dadurch umgedreht und kritisiert das maskuline und konservative Gehabe des Regimes", sagt SWP-Experte Holtmann. Er interpretiert die Aussage der Fotos so: "Wenn ihr uns vorwerfen wollt, wir seien Frauen - dann sind wir stolz!" Schließlich spielten gerade in der Oppositionsbewegung die Frauen eine wichtige Rolle.

Frauen haben unter dem Mullah-Regime besonders zu leiden, viele engagieren sich deswegen dagegen. Besonders hervorgetan hat sich dabei die Frau des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Mir Hussein Mussawi, Sahra Rahnaward. Die Hochschullehrerin sprach sogar an der Seite ihres Mannes zu Menschenmassen. In Iran ist das revolutionär.

Auffällig ist, dass auf den Kopftuch-Fotos nicht nur junge Männer, sondern auch alte zu sehen sind. "Ich denke, dass das neu ist", sagt Holtmann. Weitere Schlüsse auf die Akzeptanz der Oppositionsbewegung in der Bevölkerung könne man ohne weitere Analyse aber nicht ziehen.

Holtmann glaubt fest daran, dass diese Protestformen Zukunft haben. "Der Staat kann sie nicht aufhalten. Die Kampagnen müssen nur gut gemanagt werden." Selbst wenn noch stärker zensiert würde, fände man immer einen Weg, die Inhalte zu verbreiten.

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