Protest gegen Stuttgart 21:Trittin: Bahnchef Grube torpediert Schlichtung

Harsche Kritik am Bahnchef: Der Grünen-Fraktionschef Trittin hält Rüdiger Grube vor, die Stuttgart-21-Schlichtung zu untergraben. Die Bahn rechnet bei einem Bauabbruch mit Kosten von 1,4 Milliarden Euro.

Allein schon, dass die Konfliktparteien um Stuttgart 21 sich am gestrigen Freitag an einen Tisch gesetzt haben, um Schlichtungsgespräche zu führen, wird derzeit schon als Erfolg im verfahrenen Bahnhofsstreit gewertet.

Stuttgart 21 - Grünen Politiker besichtigen Schlosspark

Politiker der Grünen am Freitag in Stuttgart: Theresia Bauer, stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Landtag Baden-Württemberg, mit dem Bundesvorsitzenden Cem Özdemir und den beiden Fraktionsvorsitzenden Jürgen Trittin und Renate Künast. Trittin schießt nun besonders scharf gegen das Projekt Stuttgart 21.

(Foto: dpa)

Doch die Querschüsse aus der Bundespolitik hören damit noch lange nicht auf. Besonders scharf im Ton fällt nun die Kritik von Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin aus. Der Grünen-Politiker wirft Bahn-Chef Rüdiger Grube vor, die Schlichtungsbemühungen zu torpedieren. "Er eskaliert, provoziert, polarisiert", sagte Fraktionschef Trittin der Bild am Sonntag. Außerdem untergrabe der Bahnchef jeden Schlichtungsvorschlag des Vermittlers Heiner Geißler.

Trittin warf der Bahn mangelnde Transparenz bei den Kosten vor. Zudem warnte er davor, den Tunnelbau während der Gespräche zwischen Gegnern und Befürworten des Umbaus des Stuttgarter Hauptbahnhofes voranzutreiben. "Während der Schlichtung dürfen keine Fakten geschaffen werden, die eine Entscheidung in die eine oder andere Richtung vorwegnehmen. Deshalb darf Grube jetzt keinen Auftrag über 800 Millionen Euro für den Tunnelbau vergeben. So schafft er Schadenersatzansprüche von morgen", sagte Trittin.

Auch die SPD bekräftigt ihre Kritik an dem Bauvorhaben: Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel forderte erneut einen Volksentscheid - und zwar in ganz Baden-Württemberg. "Darüber darf man nicht nur die Stuttgarter abstimmen lassen", sagte er dem in Bremen erscheinenden Weser-Kurier.

Gabriel: Schlechte Regierung

Stuttgart 21 sei "kein Beweis für die Unregierbarkeit Deutschlands, sondern für schlechtes Regieren in Deutschland". Wenn man diesen Konflikt lösen wolle, müsse man eine "zusätzliche Legitimation für diese Lösung" suchen.

"Ich bin im Übrigen gar nicht überzeugt, dass die Baden- Württemberger gegen Stuttgart 21 stimmen würden", sagte Gabriel. "Aus unserer Sicht spricht viel für Stuttgart 21", unterstrich der SPD-Vorsitzende. "Wir können es uns nicht leisten, nach Verkehrsverlagerung auf die Schiene zu rufen und dann gegen jede Bahnstrecke sein." Dies sei der "Unterschied der SPD zu den Grünen".

Die baden-württembergische Regierung hält einen Ausstieg aus dem Projekt für untragbar. Justizminister Ulrich Goll warnte vor den Konsequenzen. "Die Bahn ist Bauherrin und hat sämtliche Genehmigungen. Das Land Baden-Württemberg kann nicht aus der Planfeststellung aussteigen, sondern höchstens aus der Finanzierung von Stuttgart 21", sagte der FDP-Politiker dem Focus. In diesem Fall könne die Bahn auf Erfüllung der Verträge klagen "oder aber sich das Geld woanders besorgen und uns Schadenersatz dafür abverlangen", ergänzte der Justizminister. Der Spiegel berichtete, dass die Deutsche Bahn mit Kosten von 1,4 Milliarden Euro im Falle eines totalen Bauabbruchs bei Stuttgart 21 rechne.

"Entartete Proteste"

Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) hält Vermittlungsbemühungen im Streit um das Milliarden-Bahnprojekt Stuttgart 21 für zwecklos. "Da gibt es nichts zu vermitteln. Die Frage, um die es geht, kann man mit Ja oder Nein beantworten", sagte er der Welt am Sonntag. Der Bahnhof gehöre unter die Erde. Auch der ehemalige Bahnchef Hartmut Mehdorn kritisierte den Widerstand gegen Stuttgart 21 scharf. In einem Gastbeitrag für den Focus schrieb Mehdorn, die Proteste könnten "entarten".

Bei der Öffentlichkeitsarbeit zu Stuttgart 21 räumt die Union Fehler ein: CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich sagte dem Sender SWR, die Politik müsse Großprojekte wie Stuttgart 21 besser vermitteln. Als Beispiel nannte er einen ähnlichen Neubau in Wien: "Es wird in Wien als ein Riesen-Event der Stadt gefeiert, die Bevölkerung wird mitgenommen und ist begeistert von diesem Projekt." In Wien sei das Vorhaben kommunikativ sehr sorgfältig vorbereitet worden. "Ich glaube, man hat in Stuttgart ebenfalls geglaubt, dass es ein Selbstläufer wird, dass alle Hurra schreien, und es ist dringend notwendig, das jetzt nachzuholen."

Der frühere Kandidat für das Bundespräsidentenamt, Joachim Gauck, sagte dem in Bielefeld erscheinenden Westfalen-Blatt: "Die Regierenden fürchten sich immer bei schwierigen Entscheidungen, dem Volk die Wahrheit zu sagen." Gauck sieht aber auch Versäumnisse aufseiten der Bürger: "Wir tun so, als seien die Politiker eine andere Rasse, mit der wir nichts zu tun haben wollen. Das ist ein Krisensymptom." Bei Stuttgart 21 gehe es nicht um Freiheit oder Unfreiheit, nicht um Demokratie oder Diktatur. Es handele sich um ein Kommunikationsproblem "zwischen denen, die regieren, und denen, die regiert werden. Die Regierenden sind aber die, die wir gewählt haben", sagte Gauck.

Ungeachtet der laufenden Schlichtungsgespräche zu Stuttgart 21 wollen die Gegner des Milliarden-Bahnprojekts am Samstagnachmittag erneut auf die Straße gehen. Die Organisatoren erwarten bis zu 100.000 Menschen bei der Demonstration. Sie werden vom Grünen- Bundesvorsitzenden Cem Özdemir und dem Liedermacher Konstantin Wecker unterstützt.

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