Protest gegen "Stuttgart 21":Die Stille vor dem Sturm

Auch am Freitagabend haben Zehntausende gegen das Bahn-Neubauprojekt "Stuttgart 21" demonstriert - es war wohl die bislang größte Kundgebung. Mit der Wut der Bürger wächst auch die Angst der Politik, bei der nächsten Wahl abgestraft zu werden.

D. Deckstein

Der Widerstand gegen das umstrittene Bahn-Neubauprojekt "Stuttgart 21" entwickelt sich zum Dauerprotest. Wie schon am Freitag vergangener Woche waren auch an diesem Freitag wieder Zehntausende zur Demonstration vor dem Hauptbahnhof zusammengeströmt, um in einem Schweigemarsch auf den Schlossplatz zu ziehen.

Grosskundgebung und Schweigemarsch gegen 'Stuttgart 21'

Großkundgebung gegen "Stuttgart 21": Auch am Freitag protestierten Zehntausende mit einem Schweigemarsch gegen das Bahnprojekt.

(Foto: ddp)

Angeführt wurde der stille Zug zahlreicher Schwarzgekleideter von der Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, Renate Künast, und ihrem Pendant im Stuttgarter Landtag, Winfried Kretschmer, sowie Sabine Leidig, der verkehrspolitischen Sprecherin der Linken im Bundestag. Die Polizei sprach von 17000 Teilnehmern, die Veranstalter von 30000.

Das Milliarden-Bahnprojekt "Stuttgart 21" sieht vor, den Kopfbahnhof zu einer unterirdischen Durchgangsstation umzubauen und an die künftige Schnellbahntrasse nach Ulm anzuschließen. Die Kritik richtet sich unter anderem gegen die steigenden Kosten des Vorhabens, die mittlerweile sieben Milliarden Euro betragen sollen, sowie gegen befürchtete Umweltschäden und Beeinträchtigungen des Nahverkehrs. Seit dem offiziellen Baubeginn am 2. Februar schwillt der Widerstand der Stuttgarter Bürger immer weiter an, mit wechselnden Inszenierungen. Diesmal stand der Schweigemarsch unter dem Motto "Stille vor dem Sturm", was auf weitere Eskalationen schließen lässt.

Die Grünen-Politikerin Künast sagte, "in Berlin reiben wir uns die Augen, wie die Schwaben demonstrieren können" und beglückwünschte die Menge zu ihrem "wunderbar kreativen, gewaltfreien Widerstand". Dieser Widerstand könne den Anfang dafür markieren, "dass wir in diesem Land endlich eine vernünftige Verkehrspolitik machen." Außerdem stimme es nicht, dass einmal gefasste Beschlüsse unumkehrbar seien, wie die Befürworter des Projekts behaupteten. Die Politik könne veränderten Anforderungen entsprechend immer neu gestalten.

Die Grünen profitieren

Politisch profitiert vom Protest haben die Grünen in Baden-Württemberg, die sich früh an die Spitze der Protestbewegung gesetzt hatten. In jüngsten Umfragen erzielten sie mit 20 Prozent so hohe Zustimmungswerte wie nie zuvor. Im Lager der Stuttgart-21-Befürworter - allen voran bei der Regierungskoalition aus CDU und FDP unter Ministerpräsident Stefan Mappus - geht die Angst um, dass die Koalition bei der Landtagswahl im März 2011 abgestraft werden könnte.

Angesichts der zunehmend verhärteten Fronten wird auch in der Landes-SPD, die bisher zu den Befürwortern zählte, die Kritik an dem Projekt lauter. Die linke Initiative innerhalb der Sozialdemokraten, DL21, sprach sich für einen Baustopp aus. Ziel sei es, bei einer Mediation offene Fragen zu beantworten und die strittigen Punkte zu klären, hieß es in einer Mitteilung, die unter anderem die stellvertretende SPD-Landesvorsitzende Leni Breymaier und die Ulmer SPD-Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis unterzeichneten. Sie wollen klären lassen, "ob und wie eine Bürgerbefragung ermöglicht werden kann".

Unterdessen hat der Sprecher des Projekts "Stuttgart 21", der SPD-Landtagsabgeordnete Wolfgang Drexler, die Kosten eines Ausstiegs auf 1,4 Milliarden Euro beziffert. Darin seien Planungskosten in Höhe von 440 Millionen Euro und 240Millionen Euro für Auftragsvergaben enthalten, aber noch nicht die auch von Stuttgart-21-Kritikern erwünschte Sanierung des Hauptbahnhofs. Hinzu kämen 760 Millionen Euro, die Stuttgart inklusive Zinsen für den Kauf von freiwerdenden Gleisflächen gezahlt hat und dann abschreiben müsste. "Die Kosten wären immens", sagt Drexler; der Region drohe bei einem Baustopp nach seiner Ansicht "Depression pur".

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