Protest gegen G-20- und Nato-Gipfel:"Gezielte Provokation"

Attac-Aktivist Hugo Braun über rufschädigende Randalierer in London, das Herbeireden von Gewalt vor dem Nato-Gipfel, und die gemischten Gefühle der Globalisierungskritiker gegenüber Barack Obama.

Irene Helmes

Hugo Braun ist Mitglied des Koordinierungskreises von Attac Deutschland und Mitglied des Internationalen Koordinierungskomitees "No-to-Nato".

Protest gegen G-20- und Nato-Gipfel: Protest gegen den G-20-Gipfel in London.

Protest gegen den G-20-Gipfel in London.

(Foto: Foto: AP)

sueddeutsche.de: Bereits vor Beginn des G-20-Gipfels in London ist es zu massiven Ausschreitungen in London gekommen - die Polizei dort spricht von den schwersten seit Jahren. Was ist das für ein Zeichen zum Auftakt der Protesttage gegen den Weltfinanzgipfel und den Nato-Gipfel?

Hugo Braun: Diese Polizeimitteilungen verschweigen, dass am gleichen Tag in London auch umfangreiche friedliche Aktionen und symbolische Blockadeaktionen gegeben hat, die sich gegen das unzureichende Krisenmanagement der Regierenden richteten. Ich halte es für unkorrekt, die Randerscheinungen von Randalierern zum Hauptthema dieses Protests zu machen.

sueddeutsche.de: Heißt das, in Ihren Augen schaden diese Randalierer dem gemeinsamen Ziel der Demonstranten?

Braun: Sie schaden gemeinsam mit der Polizeidarstellung, wenn es darum geht, Menschen politisch zu überzeugen. Zum Sturm auf die Bank of Scotland fällt mir im Übrigen spontan nur ein Brecht-Zitat aus der Dreigroschenoper ein: "Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?". Dennoch bleibt es dabei: Attac will durch Argumente, nicht durch Gewalt überzeugen.

sueddeutsche.de: Sie sind an der Vorbereitung der Proteste gegen den den Nato-Geburtstagsgipfel in Baden-Baden und Straßburg beteiligt. Was erwarten Sie von den kommenden Tagen?

Braun: Ganz sicher wird es umfangreiche Protestaktionen geben, an denen Attac unterschiedlich beteiligt ist. Attac unterstützt dort die Aktionen der Friedensbewegung, weil wir der Meinung sind, dass die Kriegspolitik der Nato verurteilenswert ist.

sueddeutsche.de: Zusammen mit rund 600 Organisationen aus der ganzen Welt will Attac den Nato-Gipfel blockieren. Wie soll das funktionieren?

Braun: Attac wird nicht die Organisation sein, die den Gipfel blockiert. Wir wollen mit Argumenten wirken, gelegentlich durch Aktionen des zivilen Ungehorsams die Öffentlichkeit alarmieren und aufmerksam machen. Vor allem sind wir auf dem Gegenkongress präsent und wollen darauf hinweisen, dass Globalisierung und Krieg zwei Seiten einer Medaille sind. Aber es ist nicht unsere Aufgabe, eine Konfrontation mit der Staatsmacht herbeizuführen.

sueddeutsche.de: Welche Aktionen sind konkret vorbereitet?

Braun: Der Höhepunkt der Aktionen wird am Samstag die große Demonstration in Straßburg sein - da werden einige zehntausend Menschen erwartet. Es wird symbolische Blockade-Aktionen geben, wobei wir schon im Vorfeld klargemacht haben, dass es sich nicht um militante Auseinandersetzungen handelt, sondern darum, zu demonstrieren, dass dieser Gipfel eigentlich nicht stattfinden sollte.

sueddeutsche.de: Sie fordern die Auflösung der Nato. Wann würden Sie Ihre Aktionen an diesem Wochenende als erfolgreich bezeichnen?

Braun: Ein Erfolg wäre, wenn ganz viele Menschen in Deutschland und in Europa sehen, dass die Nato eine Politik betreibt, die nicht dem Frieden dient und eine anachronistische Kriegsmaschinerie ist, die nicht in unsere Zeit gehört.

sueddeutsche.de: Wer sind die Menschen, die man bei den Demonstrationen sehen wird?

Braun: Aus den Vorbereitungen kann ich erkennen, dass es überwiegend die klassischen Mitglieder der Friedensbewegung sind. Die Kriegsdienstgegnervereinigung, der Bundesausschuss Friedensratschlag, der Mouvement de la Paix aus Frankreich. Das sind die klassischen Friedensorganisationen, die ihre Mitglieder mobilisieren und den Hauptanteil der Demonstranten stellen werden. Wir haben zu einer Demonstration aufgerufen, an der alle teilnehmen können - also auch Familien mit Kindern, alte Menschen, auch mit ihren Rollstühlen können sie kommen. Wir gehen nicht davon aus, dass von unserer Demonstration irgendeine Form von Gewalt ausgeht.

sueddeutsche.de: Der Verfassungsschutz rechnet trotzdem mit etwa 3000 gewaltbereiten Teilnehmern. Gegner des Nato-Gipfels bezeichnen das als "Propaganda" und "Paranoia". Halten Sie Warnungen vor einer Eskalation tatsächlich für völlig abwegig?

Braun: Ich halte sie eigentlich für gezielte Provokation. Da wird Gewalt herbeigeredet, anstatt deeskalierend zu wirken, wie es die Aufgabe von Sicherheitsbehörden sein sollte, wenn man das Wort Sicherheit ernstnimmt. Je mehr man über Gewalt redet, provoziert man sie. Ich halte das für eine völlig verfehlte, ja offensichtlich sogar gewollte Kommunikationspolitik.

sueddeutsche.de: Was steckt Ihrer Ansicht nach dahinter?

Braun: Wenn bewusst provoziert wird, wird es natürlich zu Reaktionen kommen, die nicht mehr kontrollierbar sind, die sich der Verantwortung der Organisatoren letztendlich entziehen. Und wir werden dann - wenn die Rechnung der Verfassungsschützer und Sicherheitsbehörden aufgeht - Bilder wie in Heiligendamm sehen.

sueddeutsche.de: Soll Ihre Veranstaltung also bewusst diskreditiert werden?

Braun: Nach dem, was ich lese und höre, liegt das für mich nahe.

Auf der zweiten Seite stellt sich die Frage, wann die eigentlich Protestwelle der Krise anrollt - und was sich die Globalisierungskritiker von Barack Obama versprechen.

"Die Protestwelle steht erst noch bevor"

sueddeutsche.de: Reiner Braun, der Koordinator der Proteste, beklagt, beim Nato-Gipfel werde den Demonstranten statt dem Grundrecht auf Versammlung "ein Gnadenbrot hingeschmissen". Inwiefern?

Anti-Nato-Demonstranten mit Wasserpistolen am 1. April 2009 in Straßburg, Getty

Anti-Nato-Demonstranten mit Wasserpistolen am 1. April 2009 in Straßburg.

(Foto: Foto: Getty)

Braun: Wenn uns in Straßburg eine Demonstrationsroute über menschenleere Landstraßen angeboten wird, hat das mit dem Grundrecht auf Demonstrations- und Versammlungsfreiheit nichts zu tun. Die Auflagen sind derart schikanös, dass Grundrechte ausgehebelt werden. Die Clownsarmee zum Beispiel, die mit Musik, Gesang und Maskierung und Bemalung auftritt, soll unterbunden werden - das finde ich ausgesprochen albern. Weil sie ja ein Versuch der Deeskalation ist, der aus der Demonstrationsleitung bewusst gewünscht wird. Außerdem: Eineinhalb Meter Abstand zum nächsten Polizisten einzuhalten - das sind Kleinigkeiten, deren Sinn ich nicht erkennen kann, die nur Schikane sein können.

sueddeutsche.de: Attac sieht sich durch die Weltwirtschaftskrise in den schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Verglichen mit der Allgegenwart der Krise in der Diskussion wirkten gerade die jüngsten Demonstrationen in Deutschland eher zaghaft. Was glauben Sie, muss noch passieren, bis es zu einer breiteren Protestbewegung kommt?

Braun: Wir sind uns natürlich bewusst, dass dieser 28. März nur ein Auftakt war. Wir sehen ganz genau, dass der neoliberale Wirtschaftskurs, der Kurs des schnellen Geldes, der Raubtierkapitalismus gescheitert ist - aber in den Köpfen der Menschen noch tief verwurzelt bleibt. Wir werden im September sicherlich erleben, dass 85 Prozent der Wahlberechtigten neoliberale Parteien wählen.

Wir intensivieren nun unsere Aufklärungskampagne, machen Hunderte Veranstaltungen, bemühen uns, einen zivilgesellschaftlichen Akteur zu gründen, der weitere Protestaktionen dann auf die Tagesordnung setzt, wenn tatsächlich die Schmerzgrenze erreicht ist. Im Augenblick wird Kurzarbeitergeld für 18 Monate gezahlt, Arbeitslosengeld für ein Jahr. Das heißt, der eigentliche Schmerz wird vielleicht in Jahresfrist eintreten. Deshalb sollten Sie die Menschen nicht für leichtfertig halten, wenn sie nach wie vor einkaufen wie vorher. Ich denke, die Protestwelle steht uns erst noch bevor.

sueddeutsche.de: 60 Jahre Bundesrepublik - da wird auch wieder viel über die Demonstrationskultur der Achtundsechziger gesprochen. Was ist davon derzeit übrig? Sind Proteste von Kriegs- und Globalisierungsgegnern 2009 nicht eher Nischenveranstaltungen?

Braun: Ich gehe davon aus, dass wir uns im Herbst wieder zu einer größeren Protestwelle veranlasst sehen. Wenn sich dann herausstellt, dass die Versprechungen, die die Regierenden gemacht haben, nicht eingehalten werden. Wenn sich herausstellt, dass die Arbeitslosigkeit steigt, dass die Zahl der Hartz-IV-Empfänger steigt. Ich weiß nicht, ob wir das mit den Achtundsechzigern vergleichen müssen. Ich habe den Eindruck, dies ist eine neue Protestkultur. Sie wird diesmal mehr als damals die Gewerkschaften betreffen, dafür gibt es hoffnungsvolle Anzeichen. Wir arbeiten intensiv an einem Bündnis von sozialen Bewegungen.

sueddeutsche.de: Also diesmal eine generationen- und milieuübergreifende Bewegung?

Braun: Richtig. Das sind nicht mehr in erster Linie Studenten und Intellektuelle, die da auf die Straße gehen - sondern die Betroffenen dieser Krise ...

sueddeutsche.de: ... von denen Sie glauben, dass sie zum Teil noch nicht verstanden haben, dass sie Teil dieser Krise sein werden.

Braun: Richtig.

sueddeutsche.de: George W. Bush, jahrelang der Lieblingsfeind von Kriegsgegnern und Globalisierungskritikern, ist weg. Nimmt Ihnen Barack Obamas Besuch bei den Gipfeln von G 20 und Nato Wind aus den Segeln, weil sich von ihm auch viele Europäer eine bessere Politik versprechen?

Braun: Mit einiger Skepsis gehe auch ich davon aus, dass mit ihm eine andere Politik möglich wäre. Die Organisatoren dieser Aktion gegen den Nato-Gipfel haben einen offenen Brief an Obama gerichtet und ihn aufgefordert, das auch umzusetzen, was er versprochen hat. Unsere Zweifel rühren daher, dass er etwa nicht bereit ist, dem Afghanistan-Krieg eine zeitliche Grenze zu setzen. Wir sehen aber, dass er im Irak und vor allem gegenüber Iran andere Töne anschlägt. Und wir wollen ihn darin bestärken. Es ist eine skeptische Hoffnung.

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