Protest:Flashmob global

Ähnliche Slogans, ähnliche Choreografie: Demonstrantinnen kopieren und inspirieren sich weltweit.

Von Dunja Ramadan

Die Choreografie sitzt noch nicht ganz. Manche Frauen recken die Fäuste in den Himmel, die anderen stampfen derweil auf den Boden. Aber darauf kam es auch nicht an, als Hunderte Demonstrantinnen in Beirut ihre Wut in die Nacht hinausbrüllten. Manche malten sich eine rote Hand auf den Mund, andere zogen sich eine schwarze Binde über die Augen. Sie riefen: "Der Grapscher, der bist du. Der Vergewaltiger, der bist du." Sie zeigten mit dem Finger in die Kamera.

Ihren Flashmob haben die Libanesinnen kopiert, das Vorbild entstand in 13 000 Kilometern Entfernung in Chile. Dort haben vier Frauen namens "Las Tesis" ("Die Thesen") bereits Ende November einen Trend gesetzt. Unter dem Motto "Un Violador En Tu Camino" (Ein Vergewaltiger auf deinem Weg) machten sie auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam - und zwar mit einer Choreografie, einprägsamen Chören und einer gehörigen Portion Wut. Daraufhin versammelten sich Frauen in Paris, Tunis, Rom und Delhi auf öffentlichen Plätzen und wiederholen die immer gleiche Performance, freilich übersetzt in die Landessprache.

Es sind globale Proteste, die gerade deshalb so erfolgreich sind, weil die Probleme oft so ähnlich sind. Gewalt gegen Frauen gibt es überall auf der Welt. Und sie wird auch überall ähnlich gerechtfertigt. Es fängt mit Begriffen wie "Familiendrama" oder "Beziehungstat" an, die es in vielen Sprachen gibt. Sie stützen ein System, das die Gewalt immer noch verharmlost. Daran sind staatliche Strukturen schuld. Die Frauen in Beirut und Santiago de Chile rufen "die Polizei", "die Richter", "der Präsident" - und nutzen damit die vielen Demonstrationen der vergangenen Wochen gegen die Regierungen, um sich für ihre Rechte starkzumachen. Während der Massenproteste wurden viele von ihnen Opfer sexueller Belästigung.

In Südamerika, im Nahen Osten, in Hongkong kommt es derzeit zu Massenprotesten gegen die Regierung. Die Menschen gehen unter anderem wegen sozialer Ungerechtigkeit, Einmischung von außen, hoher Lebenshaltungskosten und Korruption auf die Straße. Bilder und Videos der Proteste ähneln sich: Die Demonstranten inspirieren sich gegenseitig und sprechen sich über die sozialen Netzwerke Mut zu. Parolen wie "Power to the People" werden auf Protesten der Klimabewegung Fridays for Future genauso gerufen wie auf dem Tahrir-Platz in Bagdad. In Hongkong, Chile, dem Irak und Libanon schminken sich junge Demonstranten als Clown - wie der Comic-Bösewicht aus dem Kinofilm "Joker", der im August seine Premiere in Venedig feierte. Joker gilt vielen Protestierenden als "Gesicht der Revolution". Andere sehen in der Filmfigur Arthur Fleck einen Unruhestifter, der Herrschenden den Kampf ansagt und die Anarchie ausruft.

Bilder vom Samstag zeigen die libanesische Hauptstadt Beirut in Aufruhr. Als Demonstranten versuchten, auf den abgeriegelten Platz vor dem Parlament vorzudringen, setzten Sicherheitskräfte Tränengas, Schlagstöcke und Gummigeschosse ein. Dutzende Menschen wurden verletzt. Auch Frauen waren bis in die Morgenstunden auf den Straßen. Sie mussten sich allerdings anschließend rechtfertigen, warum sie so spät noch draußen seien, berichten Aktivistinnen.

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