Prostest von Aktivisten:Für die einen ein Gag, für die anderen ein Skandal

Prostest von Aktivisten: Beim Gasthof Meuchefitz treffen sich Linke und Alternative. Hier findet man auch jene Demonstranten, die kürzlich das Haus eines Polizisten belagert haben.

Beim Gasthof Meuchefitz treffen sich Linke und Alternative. Hier findet man auch jene Demonstranten, die kürzlich das Haus eines Polizisten belagert haben.

(Foto: Peter Burghardt)
  • Linke Aktivisten suchten das Wohnhaus eines Polizisten auf, um zu protestieren - danach gehen die Beschreibungen des Vorfalls auseinander.
  • Die Polizei sagt, es habe "Aggressionen" und "Einschüchterungsversuche" gegeben. Die Aktivisten sprechen von "einem kleinen Ständchen" und Polizeigewalt.
  • Die Staatsanwaltschaft Lüneburg prüft die Vorwürfe gegen die Aktivisten.

Von Peter Burghardt, Hitzacker

Es ist gar nicht so schwer, ein paar jener Demonstranten zu treffen, die kürzlich Polizei, Politik und Medien bundesweit in Aufregung versetzt haben. Man muss dabei nur Meuchefitz finden.

Meuchefitz besteht aus ein paar Häusern und liegt einsam im niedersächsischen Landkreis Lüchow-Dannenberg im Wendland, umgeben von Wiesen und Wäldern und dem Zeichen X der Kernkraftgegner. Nach Gorleben, wo seit Jahrzehnten um ein mögliches Endlager gestritten wird, sind es 26 Kilometer.

Auf dem Ortsschild sind Aufkleber, darunter "Antifa Tiger", "Hamburg gegen Polizeigewalt", "wurst" oder der Klassiker mit Sonne "Atomkraft? Nein Danke". Dahinter, gegenüber der alten Kirche und dem Friedhof, steht ein ebenfalls verziertes Fachwerkhaus. Das ist der Gasthof Meuchefitz, Landsitz von Linken und Alternativen. Da leben auch einige jener Frauen und Männer jüngeren bis mittleren Alters, die am Freitag vor Pfingsten die Idee hatten, einen Polizisten beziehungsweise dessen Familie aufzusuchen. Sie sitzen nun mit Selbstgedrehten auf Bierbänken und schildern ihre Version einer Aktion, die für sie ein Gag war und für den Staat ein Skandal.

Mit einem YPG-Plakat fing alles an

Das Gebäude dient einem Kollektiv seit den Achtzigerjahren als selbstverwaltetes Wirtshaus und Tagungszentrum. Donnerstags ist Kneipenabend, jeden zweiten Freitag "Punktresen". Die Aufmachung erinnert an die Rote Flora, Hochburg der Autonomen in Hamburgs Schanzenviertel, bei G 20 traf man sich. "Klassenkampf" ist auf einem Brett zu lesen und "Seehofer abschieben!" auf einem Plakat neben dem Schuppen mit Aufschrift "Pommes". "Humanität, Löffel abgegeben 2018", trauert eine Grabplatte. An einem Holzbalkon hängt ein rotes Tuch, darauf in gelber Schrift: "Solidarität mit Rojava. Afrin. Schulter an Schulter gegen Krieg & Faschismus."

Mit dem Balkon und einem ähnlichen Spruch begann dieser Beitrag zur nationalen Entrüstung. Jedenfalls glauben die Gastgeber hier, dass alles vor drei Monaten mit drei Buchstaben losging: YPG.

Im Februar rückte ein Großaufgebot der Polizei in voller Montur mit Maschinenpistolen im Szenetreff Meuchefitz an und entfernte ein Plakat. Darauf stand: "Afrin halte durch! Deutsche Waffen und türkische Truppen morden in Rojava. Es lebe die YPG." Rojava ist der kurdische Norden Syriens und die YPG eine Kurdenmiliz. Sie steht der verbotenen PKK nahe und diente dem Westen im syrischen Krieg trotzdem als Verbündeter gegen die Islamisten.

Verdacht auf Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, lautete die Begründung für die umstrittene Razzia. Beteiligt war auch ein Polizist und Staatsschützer, dem die Linken dieser Gegend in besonderer Abneigung verbunden sind. "Das war ein staatlicher Überfall", fanden sie und beschlossen: Die Polizei kommt zu ihnen, also kommen sie mal zu diesem Polizisten.

Die Polizei berichtet von "Aggressionen", die Belagerer von einem Ständchen

Das war der Plan, dessen Folgen die Justiz beschäftigt. Sicher ist, dass am 18. Mai erst routiniert in Gorleben protestiert wurde. Die traditionelle Kundgebung war Teil der "kulturellen Landpartie", einer friedlichen Serie von Veranstaltungen mit viel Kultur. Später spazierten knapp 60 Aktivisten zum Wohnsitz ihres polizeilichen Lieblingsfeindes auf eine Anhöhe am Rande von Hitzacker. Woher sie die Adresse hatten? Man kenne sich in der Provinz, heißt es. Sie bestreiten, dass sie die Anschrift ins Internet gestellt hätten. Manche der Besucher waren vermummt, manche hatten Musikinstrumente dabei. Sie sangen, skandierten, tuckerten Wimpel der YPG an den Carport und hissten eine Flagge der kurdischen Bewegung. Von da an gehen die Meinungen schwer auseinander.

Die Polizei berichtete von "Aggressionen" und "Einschüchterungsversuchen". Der "Angriff" sei "eine neue Dimension der Gewalt" gegen Beamte und ihre Angehörigen. Die Belagerer erläutern, dies sei "ein kleines Ständchen" gewesen, "kein schwarzer Block, eher lustig". Vier Stücke habe man gespielt, zum Beispiel ein Partisanenlied. Es sei auch getanzt worden.

Im Netz kursiert ein Video. Darauf Gitarre, Banjo, Akkordeon, Fahnen, Gesang, dunkle Klamotten, Gesichter, mindestens eines hinter Tuch, viele Füße. Unbeteiligte Zeugen? Allenfalls Nachbarn. "Schockierend" fand sie es, sagt eine Frau vor der Tür, "wir hatten schon Angst." So was habe sie noch nie erlebt, dabei habe sie früher in Gorleben gewohnt und hier in Hitzacker die Demos gegen die Castor-Transporte vor Augen. Die Sänger respektive Angreifer sagen, sie könnten verstehen, dass sich die Leute drinnen unwohl gefühlt hätten. Aber ihr Auftritt sei "bewusst spielerisch" gewesen. Brutal sei es danach geworden.

Niedersachsens Innenminister zeigt sich bestürzt

Der Hausherr, dem das Manöver galt, war im Dienst, daheim waren nur Frau und Kinder. Erst fuhr ein Streifenwagen vor. Dann, während ihres Abmarsches, wurden die demonstrierenden Konzertanten gestellt: Am Bahnübergang traf eine Spezialtruppe der Oldenburger Polizei ein, sie kam aus Gorleben. "Das war ein Angriff", sagt einer der Autonomen, auf seinem Shirt steht Rojava. Von "Wannen" seien sie umstellt worden, Wannen sind Mannschaftswagen, "wir wurden eingekesselt." Geschlagen, getreten, zu Boden gestoßen, gefesselt und beleidigt habe man sie und einem von ihnen die Nase gebrochen. Die Polizei notierte "Handgreiflichkeiten und Widerstandshandlungen".

Beachtlich war, wie hektisch Politiker fast aller Parteien ihr Entsetzen über das missratene Gastspiel beim Staatsschutz äußerten und die Nachrichten ins Kraut schossen. Wer Polizisten bedrohe, greife die Demokratie an, klagte Niedersachsens CDU. Die JU fordert, das Vermummungsverbot auszuweiten. Er sei "zutiefst bestürzt", schrieb der niedersächsische SPD-Innenminister Boris Pistorius auf Facebook. "Das ist eine unfassbare Grenzüberschreitung dieser Gruppe. Ich hoffe, dass möglichst viele dieser Personen schnell ermittelt und für diese Tat bestraft werden."

Lüneburgs Staatsanwaltschaft prüft jetzt Wahrheiten und strafrechtliche Relevanz. Die Ermittlungen betreffen 55 Protestler, es geht um Beleidigung, Bedrohung, Hausfriedensbruch und so weiter. Das Thema passt zum Streit um ein verschärftes Polizeigesetz auch in Niedersachsen. "Polizei ist immer problematisch, wenn sie als Armee der herrschenden Eliten eingesetzt wird", den Satz will ein Wortführer aus Meuchefitz noch loswerden, Vögel zwitschern. Reue? "Nö. War super." Man freue sich auf einen Prozess. Wobei nicht sicher ist, ob sie auch ein Urteil erfreulich finden werden.

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