Propaganda:Trösten und hassen

Salafisten werben nicht nur mit Gewalt, in vielen Videos geht es um die Gefühlswelt junger Männer. Die Verführer werden immer professioneller.

Von R. Steinke

Eine wehmütige arabische Männerstimme führt den Chor an. Man hört keine Instrumente, keinen Refrain, nur dieses fadenfeine, aller Verzweiflung trotzende Klagelied: "Mein Vergehen war es, dass mich damals Geld, Illusionen und der Trinkbecher verführten." Es ist eine Beichte.

Auf Arabisch reimt sich das, aber mehr noch, die Reime rollen in einem klassischen orientalischen Versmaß über die Lippen des Sängers, im Basit. Die Stimme des Sängers fleht, sie zittert, und am Ende wird sie ganz leise. Dann die Katharsis: "Ich erwachte durch eine donnernde Stimme, die mich zur Rache auffordert."

Dschihadistische Propaganda im Internet besteht nicht nur aus Hass und Wut, sondern zunächst oft aus Trost. Gewiss, wer Gewaltfantasien sucht, wird von den Propagandisten des "Islamischen Staats" (IS) bedient. Inzwischen aber ist das Vorfeld aus scheinbar Mut machender religiöser Rhetorik um ein Vielfaches größer. Betrachtet man die jungen Migrantensöhne, die in Europa gewalttätig geworden oder von hier aus in die Krisengebiete in Syrien oder dem Irak ausgereist sind, dann kann man sich bei den meisten kaum vorstellen, dass sie zuvor 1500 Seiten lange politische Traktate studiert haben. Oft zeigt sich hinterher, dass sie eher emotional angesprochen wurden - und so kommen islamistische Prediger ins Spiel, die sich über Youtube, Facebook oder Apps an ihr Publikum wenden, die ihm etwa salafistische Musik und Poesie empfehlen und sich nur vereinzelt - wie der nun in Niedersachsen verhaftete Abu Walaa - über die Grenze des Legalen hinausbewegen.

2005 gab es nur eine Handvoll salafistische Prediger in Deutschland, heute Dutzende

Gab es 2005 nur eine Handvoll Prediger in Deutschland, die durch die Lande zogen und auf Seminaren und in Vorträgen für die salafistische Interpretation des Islam warben, so geht ihre Zahl heute in die Dutzende. Der Stil ist raffinierter geworden, die Wortwahl sehr viel glatter. Erfolgreiche Prediger pflegen zwar weiter den allgegenwärtigen Szene-Akzent - "isch sage eusch, Brüder und Schwestern" -, ganz gleich, ob sie in Mönchengladbach aufgewachsen sind oder in Kempten. An Eloquenz und Facettenreichtum aber können es die prominenteren unter ihnen, etwa die Konvertiten Sven Lau oder Pierre Vogel, mit jedem Fernsehmoderator aufnehmen.

Dass ein Prediger wie Vogel fünf Tage nach der Tötung von Osama bin Laden zu einem öffentlichen Totengebet in Frankfurt aufruft, wäre heute kaum mehr denkbar. Es wäre zu platt, zu offensichtlich. Aber genauso ist heute kaum mehr denkbar, dass Dutzende oder Hunderte Jugendliche einem solchen Aufruf folgen würden. Sie säßen auf dem Präsentierteller. Die Szene trifft sich heute überhaupt viel seltener in der realen Welt, eine Radikalisierung in der Hinterhof-Moschee, wie sie neulich im Kieler Tatort gezeigt wurde, gibt es in Wahrheit kaum noch. Zu groß ist die Aufmerksamkeit der Staatsschützer geworden, die sich kein "Islam-Seminar" mehr entgehen lassen, und zu groß ist auch der Druck auf die Moscheen. Viel ansprechender als früher sind die Möglichkeiten der Online-Vernetzung.

"Scheich Google", wie es ein Mitarbeiter des Berliner Präventionsprogramms Ufuq formuliert: Von den tröstenden Lebenstipps eines Pierre Vogel bis zu härteren Predigern wie Abu Walaa sind es dann manchmal nur ein paar Klicks.

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