Aus dem abgefangenen E-Mail-Verkehr geht hervor, dass die "Agentur zur Analyse des Internets" ihre Monatsabrechnungen an Prigoschins Firma Concord schickte. Zusätzlich gingen Tätigkeitsberichte an einen Mann, der in den Dokumenten nur mit dem Nachnamen Wolodin auftaucht. Laut den anonymen Informanten soll es sich um Wjatscheslaw Wolodin handeln, den stellvertretenden Leiter von Putins Präsidialadministration. Das erscheint insofern als schlüssig, da Wolodin als der Mann im Kreml gilt, der sich um die Kontrolle des Internets kümmert. Er wurde im Dezember 2011 auf dem Höhepunkt der Proteste gegen gefälschte Wahlen in den Kreml geholt, um das unterschätzte Phänomen in den Griff zu bekommen.
Die Firma Concord lehnt jeden Kommentar zu den Vorwürfen mit der Begründung ab, die Daten seien auf illegale Weise an die Öffentlichkeit gekommen. An der Echtheit des Materials gibt es indes wenig Zweifel. Die Gruppe, die sich, wie es unter Hackern Sitte ist, "Anonymous International" nennt, hat bereits seit vergangenem Dezember immer wieder brisante Dokumente an die Öffentlichkeit gebracht, die sich jedes Mal als authentisch herausstellten. Das begann mit der Neujahrsansprache von Präsident Wladimir Putin, deren Text im Blog der Hacker erschien, bevor das Fernsehen sie ausstrahlte.
Vertrauliche Details über die Vorbereitung des Referendums auf der Krim durch Moskauer PR-Experten und Polittechnologen wurden ebenso veröffentlicht wie der E-Mail-Verkehr von Igor Girkin, Ex-Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes und heute unter dem Pseudonym Igor Strelkow militärischer Anführer der selbst ernannten Volksrepublik Donezk in der Ukraine.
Der "geschäftsführende Troll" bestätigt, dass das Material echt ist
An den Veröffentlichungen fällt auf, dass die Anonymen ihr Material nicht nur aus gehackten Postfächern beziehen, sondern offenbar auch Zuträger im Zentrum der Macht haben. Immer wieder sind Dokumente dabei, die offenbar in den Kabinetten der Kreml-Administration abfotografiert wurden. Russische Medien spekulieren daher, ob hinter den Veröffentlichungen ein Machtkampf im Kreml steckt, der von Gegnern Wjatscheslaw Wolodins geführt wird. Oder ob im Geheimdienst einige unzufrieden sind, dass ureigene Aufgaben der Behörde wie die Manipulation der öffentlichen Meinung privaten PR-Firmen überlassen werden.
Ein Geschäftsführer der "Agentur zur Analyse des Internets" hat sich unterdessen für die Flucht nach vorn entschieden. Am Telefon bestätigte Michail Burtschik der Süddeutschen Zeitung die Authentizität des Materials, wollte sich aber nicht weiter zur Tätigkeit der Agentur äußern. In seinem Blog nennt Burtschik sich nun den "geschäftsführenden Troll" und erklärt, es sei doch gar nichts dabei an der Tätigkeit, Journalisten würden schließlich auch fürs Schreiben bezahlt. Einige seien als Patrioten sogar stolz darauf, "Trolle von Olgino" genannt zu werden: "Lieber Troll sein und seine Heimat lieben, als anonym auf die Regierung schimpfen", schreibt Burtschik; dabei vergisst er allerdings, dass die bezahlten Kommentatoren selbst stets anonym auftreten und ihre Identität erst von den Hackern aufgedeckt wurde.
Der Westen hat keine Antwort
Bezahlte Kommentatoren könnten relativ kurzfristig über Anzeigen in Online-Jobbörsen mobilisiert werden, berichtet eine leitende Mitarbeiterin einer PR-Firma in Moskau der Süddeutschen Zeitung. Die Frau, die auch Aufträge von staatlichen Stellen bekommt, will nicht, dass ihr Name oder der ihrer Firma veröffentlicht wird. Kommentare in Fremdsprachen seien für ihre bezahlten Kommentatoren kein Problem, ist sie überzeugt: "Die Sprachausbildung an unseren Hochschulen ist gut, das fällt nicht auf", sagt sie. Bezahlt werden die Trolle in der Agentur nach Leistung: Jeder Blog-Eintrag oder Kommentar wird fotografiert, danach wird abgerechnet.
Dass Russland seine Ukraine-Politik mit Propaganda in den sozialen Medien begleitet, überrascht den Politikberater Simon Anholt nicht. Der Brite wird von Regierungen weltweit als Experte gerufen, wenn es um das Image von Staaten geht. Regelmäßig bekomme er Einladungen aus Russland, sagt er. Wissenschaftler dort beschäftigten sich intensiv damit, wie öffentliche Meinung manipuliert werden kann. Laut einem Bericht der Zeitung Kommersant hat der Kreml gerade Forschungsaufträge mit einem Volumen von umgerechnet einer Million Euro ausgeschrieben, die unter anderem klären sollen, wie in anderen Ländern das Wahlrecht eingeschränkt wird, wie soziale Netze die öffentliche Meinung beeinflussen und wie man das Internet besser steuern kann. Es sei ein Irrtum, sagt Anholt, dass das Internet als freier Kommunikationsraum automatisch zu mehr Freiheit führe: "Weil es frei ist, ist es eben nicht immun gegen Manipulationen. Soziale Medien können gehackt und manipuliert werden. Und der Westen hat darauf keine Antwort." Zensur kann schließlich auch keine Lösung sein.
Das wirksamste Mittel gegen Trolle haben die Analysten aus Olgino unterdessen selbst dokumentiert: Ein Papier mit dem Titel "Negative Kommentare" gibt zu bedenken, dass allzu eindeutige Beiträge beim Publikum zu Abwehr-Reaktionen führen können. "Außerdem schöpfen die Nutzer Verdacht, dass diese Kommentare aus ideologischen Gründen oder gegen Bezahlung geschrieben wurden", heißt es. Als Beispiel ist eine Diskussion auf dem Portal des US-Nachrichtensenders CNN angeführt. Auf eine Tirade gegen das "vom Westen bezahlte Marionetten-Regime in Kiew" antwortet ein User: "Wie ist das Wetter in Moskau heute Abend?" Ein anderer schreibt: "Ich bin Russe wie du. Aber ich bin ein freier Mann, und du bist ein bezahlter KGB-Troll."