Pronold im Interview:"Wir waren zu blöd"

Lesezeit: 4 min

Klartext von Bayerns SPD-Chef Florian Pronold vor dem Parteitag der Sozialdemokraten: Im Gespräch mit sueddeutsche.de erklärt er, worin er die Gründe für die Krise der SPD sieht - und wie die Partei wieder aus dem Tief kommen kann.

Thorsten Denkler

sueddeutsche.de: Herr Pronold, Sie galten einst als schärfster Kritiker der Agenda-Reformen von Gerhard Schröder. Sie haben sogar ein Mitgliederbegehren mit auf den Weg gebracht. Hat Ihnen das Wahlergebnis vom 27. September recht gegeben?

Florian Pronold, Chef der Bayern-SPD, will nicht für die Projekte anderer geradestehen müssen. (Foto: Foto: ddp)

Florian Pronold: Den Grund für das Wahlergebnis auf die Agenda 2010 zu reduzieren, wäre naiv und dumm. Sicher, die damit verbundenen Abstiegsängste von Arbeitnehmern gehören mit zu den Ursachen. Aber ich sage auch: Nicht alles, was ich 2003 befürchtet habe, ist auch eingetreten. Vieles ist wesentlich besser geworden. Jetzt geht es in der Opposition darum, Glaubwürdigkeit zurückzuerlangen.

sueddeutsche.de: Ihr Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier wurde ausgelacht, als er diese Woche im Bundestag anfing, von sozialer Gerechtigkeit zu reden. Der SPD wird schlicht nicht mehr abgenommen, hier noch etwas zu bieten zu haben. Wie kann sich das ändern?

Pronold: Das stimmt nicht ganz. Wir haben in der Bevölkerung immer noch die höchste Kompetenzzuweisung im Bereich der sozialen Gerechtigkeit. Die Politik von Schwarz-Gelb wird zeigen: Das Land wird sozial kälter, wenn die SPD nicht regiert. Es ist besser mit als ohne uns.

sueddeutsche.de: Die Kanzlerin hat versprochen, dass es mit ihr keinen sozialen Kahlschlag geben wird.

Pronold: Das wird sie nicht lange durchhalten. Die Hälfte ihrer Partei steht der FDP nahe. Und die wird nichts unversucht lassen, eine Umverteilung von unten nach oben durchzusetzen.

sueddeutsche.de: Die Wähler haben die SPD dennoch krachend aus der Regierung geworfen. Warum?

Pronold: Vier Themen haben es uns enorm schwer gemacht: Rente mit 67, Hartz IV, Mehrwertsteuererhöhung und Afghanistan. Unabhängig davon, wie man sie bewertet, ob das alles richtig oder falsch war, haben viele aufgehängt an diesen Themen den Eindruck gewonnen, dass die SPD nicht mehr die Partei ist, die sie mal gewählt haben.

sueddeutsche.de: Es gab ja auch in der Tat schlechtere Gründe, sich von der SPD abzuwenden.

Pronold: Ich finde dennoch, dass der Eindruck falsch ist. Ich sage nicht, die Leute waren zu blöd, uns zu verstehen. Nein. Wir waren zu blöd, unsere Themen richtig rüberzubringen. Es reicht eben nicht mehr aus, nur die richtige Politik zu machen.

sueddeutsche.de: Wer Pech hat, ist ruck, zuck in Hartz IV. Es wird gefordert, ohne ausreichend zu fördern. Die Mehrwertsteuererhöhung haben auch alle gespürt. War das alles nur ein Kommunikationsproblem?

Pronold: In der Regierung werden Sie immer auch mitverprügelt für Dinge, die von anderen kommen. Die Rente mit 67 war keine Idee, die in der SPD geboren wurde. Es gibt dazu bis auf den Koalitionsvertrag von 2005 keinen Parteitagsbeschluss. Die Union hat die Rente mit 67 durchgesetzt.

sueddeutsche.de: Franz Müntefering hat die Rente mit 67 verkauft, als wäre sie sein Baby.

Pronold: Tja, es ist eine wahrhaft große Leistung, wie wir uns Dinge auf die Fahnen haben schreiben lassen, die wir nicht erfunden haben. Das ist das alte Problem der SPD. Wir stehen offensiv für die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag ein und die anderen machen reine Klientelpolitik. Dann ist man der Dumme. Vielleicht muss man es auch mal schaffen, nein zu sagen, wenn eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag zur Abstimmung steht.

Lesen Sie auf Seite 2, wie sich die SPD aus Pronolds Sicht in Zukunft präsentieren muss.

Neue SPD-Spitze
:Gabriels Granden

Nach der dramatischen Wahlniederlage stellt sich die SPD neu auf: Welche Sozialdemokraten neben dem Parteichef Sigmar Gabriel künftig das Sagen haben - und welchen Flügeln sie angehören.

sueddeutsche.de: Das hätte zumindest verhindert, dass die SPD eine Politik vertreten muss, die an ihren Kernwählerschichten vorbeigeht.

Florian Pronold bei einer Fastnacht-Veranstaltung Anfang 2009. (Foto: Foto: dpa)

Pronold: Natürlich hat unsere Politik sich auf die Menschen ausgewirkt, aber doch nicht nur zum Schlechten. Weit vor den Agenda-Reformen hatte ich als Lokalpolitiker eine alleinerziehende Mutter von zwei Kindern in der Sprechstunde. Sie bezog Sozialhilfe, wohnte auf dem Land, sollte aber ihr Auto verkaufen, weil dessen Wert das Schonvermögen in der Sozialhilfe überstieg. Dagegen ist Hartz IV eine wesentliche Verbesserung. Heute kann die Frau ihr Auto behalten.

sueddeutsche.de: Geholfen hat das der SPD nicht.

Pronold: Ich habe gelernt, dass nicht immer die materielle Ausstattung das Problem ist, sondern die Sorge vor Betroffenheit. Unsere Politik war besser als ihr Ruf, aber nicht gut genug, um zu überzeugen. Ich warne jetzt aber davor, nur noch zurückzuschauen. Als Lots Frau sich nach Sodom und Gomorrha umschaute, erstarrte sie zur Salzsäure. Das darf der SPD nicht passieren.

sueddeutsche.de: Im Wahlkampf hat die SPD bei Großveranstaltungen zum Teil Jazzmusiker auftreten lassen. Lassen sich damit Arbeiter, Malocher, die Stammwähler der SPD ansprechen?

Pronold: Die SPD hat eine sehr breit gefächerte Wählerschaft. Vom Architekten bis zum Facharbeiter am Fließband. Darüber ein einendes Band zu spannen, das war immer die Stärke der SPD. Diesmal ist uns das nicht gelungen. Darum haben wir in allen Bevölkerungsschichten verloren.

sueddeutsche.de: Ist die SPD einfach nicht mehr sexy genug?

Pronold: Die Gesellschaft hat sich verändert, auch das Parteiensystem. Ich habe mich vor einiger Zeit zufällig in einer Bar mit drei Schauspielerinnen unterhalten. Die hatten in vielen Punkten sozialdemokratische Ansichten. Aber vom Lebensgefühl her standen die irgendwo zwischen FDP und Grünen. Die haben die SPD nicht abgelehnt. Sie haben einfach kein Verhältnis zur SPD. In diese Milieus müssen wir wieder kommen und deutlich machen, das Freiheit und Individualität nur durch soziale Sicherheit möglich wird. Wir müssen, anknüpfend an Willy Brandt, den anderen den Freiheitsbegriff wieder streitig machen.

sueddeutsche.de: Schröder wird vorgeworfen, er habe die Partei erpresst, und er habe die Basis bei den Agenda-Reformen nicht mitgenommen. Dennoch: Er hat 2005 noch 35 Prozent geholt. Was ist in den vier Jahren nach Schröder passiert, dass Steinmeier mit 23 Prozent das schlechteste Ergebnis der Nachkriegsgeschichte eingefahren hat?

Pronold: Mich treibt diese Frage noch mehr um als Sie, aber ich habe noch keine schlüssige Antwort. Wir konnten in der großen Koalition mehr sozialdemokratische Politik umsetzen, als unter Rot-Grün. Wir haben reihenweise branchenspezifische Mindestlöhne durchbekommen. Wir haben die Konjunkturpakete geschnürt. Wir haben die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes verlängert. Unsere Politik war sozialdemokratischer als vorher, unsere Wahlergebnisse aber schlechter.

sueddeutsche.de: Kann es daran liegen, dass die SPD nie eine geschlossene Position gefunden hat, wie eine Reform der Agenda-Reformen aussehen kann und ob sie überhaupt kommen muss? Die Debatte um die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes hat das ja eindrücklich gezeigt.

Pronold: Das waren merkwürdige Diskussionen. Wir brechen uns doch keine Zacken aus der Krone, wenn wir etwas ändern, das als falsch erkannt wurde. Es war ein katastrophaler Fehler, an so einer Stelle einen Symbolstreit vom Zaun zu brechen.

sueddeutsche.de: Sigmar Gabriel, der am Wochenende in Dresden zum neuen Parteichef gewählt werden soll, will die SPD basisdemokratischer machen. Es soll Urabstimmungen zu inhaltlichen Themen geben, die Gremien sollen mehr Macht bekommen. Kann das funktionieren?

Pronold: Ich bin für eine Öffnung der Partei. Die SPD muss sich als spannende Partei nach außen zeigen, in der die Themen der Zukunft diskutiert werden. Aber die entscheidende Frage ist: Wie organisieren wir die Diskussionsprozesse so, dass sie auch dann noch funktionieren, wenn wir wieder regieren? Denn regieren werden wir wieder.

© sueddeutsche.de/lala - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: