Süddeutsche Zeitung

Programme zur Europawahl:Von Asyl bis Zuständigkeitsstopp

Wie sollte die EU mit Flüchtlingen umgehen, was versprechen sich Union, SPD, Grüne, Linke, Liberale und AfD von Reformen? Und wie halten es die Parteien mit dem Euro? Ein Überblick über die Parteiprogramme zur Europawahl.

Von Luisa Seeling, Kathleen Hildebrand und Roland Preuß

Und das soll er nun alles gelesen haben, der europapolitisch interessierte Bürger, bevor er sein Kreuzchen macht? Auf fast 400 Seiten summieren sich die Programme der sieben deutschen Parteien, die bei der Europawahl am Sonntag die besten Erfolgsaussichten haben: die etablierten Bundestagsparteien plus FDP und AfD.

Wie viel Lesestoff sie potenziellen Wählern zumuten wollen, davon haben die Parteien recht unterschiedliche Vorstellungen. Während die SPD mit luftigen 14 Seiten auskommt, haben die Grünen 145 Seiten inklusive Stichwortregister und Manifest formuliert. Und während die CDU ihre Konzepte auf 84 Seiten ausbreitet, begnügt sich ihre bayerische Schwesterpartei CSU mit 18.

Ob in aller Kürze oder in voller Länge - bei der Frage, wie die Eurozone stabilisiert werden kann, setzen alle Parteien einen Schwerpunkt. Grob gesprochen verläuft hier der Graben zwischen Befürwortern und Gegnern einer europäischen Vergemeinschaftung von Schulden. CDU, CSU, FDP und AfD lehnen sie ab, Grüne und Linke sind dafür.

Die Grünen wollen einen europäischen Schuldentilgungsfonds, die Linke fordert einen Schuldenschnitt für überlastete Länder und die Einführung von gemeinsamen Staatsanleihen aller Euro-Staaten, sogenannte Euro-Bonds. Für diese gemeinsamen Schuldscheine hatte sich früher auch die SPD ausgesprochen, inzwischen distanziert sich ihr Spitzenkandidat Martin Schulz jedoch davon. Es gebe keine Mehrheit dafür, das Thema habe sich erledigt, sagte er kürzlich.

Die CDU bekennt sich klar zur Gemeinschaftswährung - eine Politik, die sich vom Euro abwende, sei rückwärtsgewandt und unverantwortlich. Allerdings fordern die Christdemokraten solide Staatshaushalte und ein striktes Einhalten der Maastricht-Kriterien, also der vereinbarten Schuldenobergrenzen für jedes Land.

Hilfe für Schuldenstaaten soll es nur gegen strenge Reformauflagen geben. FDP und CSU können sich einen Austritt einzelner EU-Länder aus der Eurozone vorstellen, die AfD empfiehlt ihn sogar: Sie ist für "einen geplanten und geordneten Ausstieg aus dem Einheitseuro". Stabilitätsorientierte Länder könnten ein eigenes, kleineres Währungssystem bilden.

Auch die Linke ist dem Euro-Ausstieg nicht abgeneigt, begründet dies aber ganz anders: Weil sie die Sparpolitik der Troika ablehnt, würde die Partei lieber auf den Fortbestand des Euro verzichten, als den betroffenen Ländern weitere Reformen aufzuzwingen. Staaten, die Hilfskredite erhalten, sollten der Linken zufolge eine verpflichtende Millionärsabgabe einführen.

Ein stärkeres EU-Parlament wollen fast alle

Klare Unterschiede gibt es auch bei den Themen Zuwanderung und Umgang mit Flüchtlingen. CDU und CSU wollen beim Asyl an der Drittstaaten-Regelung festhalten, die besagt, dass Flüchtlinge dort Asyl beantragen müssen, wo sie erstmals in die EU gelangt sind. SPD und FDP hingegen wollen diese Regelung reformieren, die Lasten gleicher verteilen; Grüne und Linke wollen sie ganz abschaffen. Sie sind der Ansicht, dass sich die EU stärker für Flüchtlinge öffnen soll. Asyl sollen sie in dem Land beantragen können, wo sie Familie haben, fordern die Grünen, oder dessen Sprache sie sprechen. Die Linke will ihnen die Wahl des Landes ganz frei stellen.

Die CDU will sich stärker um Hochqualifizierte bemühen; Zuwanderung, die Zulasten der deutschen Sozialsysteme geht, will sie hingegen verhindern. Das sehen CSU, FDP und AfD ganz ähnlich. So heißt es etwa bei der CSU: "Wer ungerechtfertigt Sozialleistungen abruft, soll Deutschland verlassen." Und bei der AfD: "Eine Einwanderung in deutsche Sozialsysteme lehnt die AfD strikt ab." Ihr - wie auch der FDP - schwebt ein Punktesystem für die Zuwanderung nach kanadischem Vorbild vor.

Während die Parteien in ökonomischen Fragen und in der Einwanderungspolitik teils weit auseinanderliegen, können sie sich auf kaum etwas so gut einigen wie das Subsidiaritätsprinzip. Hinter dem etwas sperrigen Begriff verbirgt sich ein europäischer Kerngedanke, der 1992 im Maastrichter Vertrag und auch im Vertrag von Lissabon festgeschrieben wurde: Jede Aufgabe soll auf der niedrigstmöglichen politischen Ebene wahrgenommen werden.

Mit anderen Worten: Die EU soll nur dann tätig werden, "wenn sie wirksamer handeln kann als die Mitgliedstaaten mit ihren Regionen und Kommunen" - so formuliert es die CDU, und so steht es in Variationen auch in den anderen sieben Europaprogrammen. Die CSU geht allerdings noch weiter: Für die kommende Legislaturperiode soll es einen "Zuständigkeitsstopp" geben - die EU soll Kompetenzen an die Mitgliedstaaten zurückgeben. Das wollen auch AfD und FDP.

Ein stärkeres Parlament, das eigene Gesetzesvorschläge einbringen kann - das wollen fast alle Parteien, Ausnahme: die AfD, die mehr Wert auf eine Stärkung der nationalen Parlamente legt. Die CSU will in wichtigen europapolitischen Fragen Volksabstimmungen einführen; das wollen Grüne und Linke auch, die FDP bei der Übertragung von Hoheitsrechten. Grüne, Linke und FDP wollen einen Europäischen Konvent einberufen, der auch die Zivilgesellschaft einbezieht.

Linktipps:

  • Hier finden Sie die Parteiprogramme zur Europawahl von CDU, CSU, SPD, Grünen, Linken, FDP sowie AfD.
  • Welche Partei Ihnen wirklich nahe steht, erfahren Sie im SZ-Wahlthesentest.
  • Die deutschen Spitzenandidaten für die Europawahl finden Sie hier.

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