Profil:Zabolon Simantov

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(Foto: David Goldman/AP)

Der letzte Jude von Kabul lebt einsam in seiner Synagoge - und will bleiben.

Von Anna Reuß

Jeden Freitag bereitet sich Zabolon Simantov auf den Sabbat vor: Er duscht und rasiert sich und schließt am Abend sein Geschäft. Am Samstagmorgen, wenn das muslimische Afghanistan um ihn herum die Arbeitswoche beginnt, kleidet er sich für das Morgengebet am jüdischen Tag der Ruhe. Die Leute in seiner Heimat Kabul nennen ihn nur "der Jude". Denn er ist der letzte seiner Art - der letzte Jude in Afghanistan.

"Ich bleibe, um mich um die Synagoge zu kümmern", sagte er der Times of Israel. "Wäre ich nicht hier, wäre das Grundstück längst verkauft worden." Der 52-Jährige will das jüdische Erbe bewahren. Schätzungen zufolge lebten bis ins frühe 19. Jahrhundert 40 000 Juden im Land. Ihre Spuren reichten zurück zum babylonischen Exil. Später wurde Kabul zum Umschlagplatz auf den Handelsrouten zwischen Zentralasien und Indien, damals gehörten jüdische Kaufleute zur Elite der Stadt. Von dieser Blüte ist kaum etwas geblieben. Bei Staatsgründung Israels 1948 fassten Tausende afghanische Juden den Entschluss, dorthin umzuziehen. Nach dem Ende des Kriegs mit der Sowjetunion 1989 zählte das Land nur noch wenige jüdische Familien. Auch sie zogen fort, viele nach New York oder Tel Aviv.

So blieben irgendwann nur noch zwei Männer übrig: Zabolon Simantov und Yitzhak Levin. Eine bittere Ironie, denn obwohl die beiden zusammen in der Synagoge von Kabul wohnten und gemeinsam den Bürgerkrieg überlebten, hatten sie zeitlebens nur Hass füreinander übrig. Sie verrieten sich sogar gegenseitig an die Taliban und bezichtigten den jeweils anderen als angeblichen Spion des Mossad. Infolge des Zwists wurden sie verhaftet und gefoltert, die einzige afghanische Thora-Rolle wurde beschlagnahmt. Ihre Geschichte wurde sogar in Theaterstücken in den USA verarbeitet, etwa in einer Komödie des Titels "Two Jews Walk Into a War". Seit Levins Tod 2005 lebt Simantov allein in dem heruntergekommenen zweistöckigen Gebäude in der Altstadt, das die letzte Synagoge des Landes beherbergt.

Die afghanische Hauptstadt ist ein bedrohlicher Ort. Wegen der Selbstmordanschläge erklärten die Vereinten Nationen Kabul zur gefährlichsten Stadt des Landes. Immer wieder wurden dieses Jahr Anschläge verübt, um die Parlamentswahl zu sabotieren und die Menschen von den Urnen fernzuhalten. Das Kalkül der Taliban ging auf: Wahllokale blieben aus Sicherheitsgründen geschlossen. Das Ziel des Westens, Afghanistan zur echten Demokratie zu machen, gilt als gescheitert.

Auch viele Afghanen haben resigniert, sogar Simantovs eigene Familie, mit der er allerdings kaum Kontakt hat. Seine Ehefrau und die beiden Töchter verließen Kabul vor vielen Jahren und gingen nach Israel. Simantov selbst, in Herat geboren und aufgewachsen, war 1980 nach Kabul gezogen. Dort will er bleiben. Er spreche kein Hebräisch und hätte in Israel ohnehin keine Arbeit, sagt er. Vor allem will er das letzte Gotteshaus der jüdischen Gemeinde und deren Friedhof retten. Sollten es die Extremisten auch auf ihn absehen, wäre Simantov ihnen ausgeliefert. Angesichts dieser Gefahr gehe er kaum auf die Straße, sagt er. "Der Tod ist nahe."

Außer ihm kommt schon lange kein Jude mehr in die Synagoge. Vor ein paar Jahren erhielt er von einem Rabbi in Usbekistan die Sondererlaubnis, Tiere zu schächten, weil weit und breit kein Jude mit entsprechender Ausbildung lebt. Um über die Runden zu kommen, betreibt er ein Kebab-Restaurant in der Synagoge, wo alles nach muslimischen Vorgaben zubereitet wird. Wenn er sein Lokal betritt, nimmt Simantov seine Kippah ab. Doch der Umsatz ist gering. In der Stadt sind viele Menschen ängstlich geworden, darunter leidet vor allem die Gastronomie. Und so kann er nur durch Spenden von Juden aus dem Ausland überleben. Eine Gewissheit haben sie: Mit diesem Mann mittleren Alters, dem letzten Mitglied der Gemeinde, wird die jüdische Gemeinschaft Afghanistans wohl aussterben.

© SZ vom 15.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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