Süddeutsche Zeitung

Profil:Wolfgang Tillmans

Berühmter Fotokünstler, der für die Europäische Union und gegen die Populisten kämpft.

Von Catrin Lorch

Er sorgt sich um Europa, deshalb hat der deutsche Künstler Wolfgang Tillmans, gemeinsam mit seinem Kollegen Stephan Petermann und dem Architekten Rem Koolhaas, Künstler und Kreative in der gesamten EU dazu aufgerufen, sich an einer Werbekampagne für die Europawahl 2019 zu beteiligen. Die Künstler sollen Ideen entwickeln, wie man die Bürger wieder für Europa begeistern kann, heißt es in einer Erklärung ihres "Eurolabs", das fragt, "was in den vergangenen 25 Jahren falsch gelaufen ist", in denen die europäische Idee an Popularität verloren habe und nun von "nationalistischen und spaltenden Kräften" bedroht sei.

Ein solches Engagement von Künstlern ist nicht alltäglich - allein die Kunst-Szene wird es nicht überraschen, dass sich der im Jahr 1968 in Remscheid geborene Künstler Wolfgang Tillmans mit so einer Initiative zu Wort meldet. Der Fotograf, der seit vielen Jahren in Berlin und London lebt und arbeitet, wurde Anfang der 1990er-Jahre mit Aufnahmen für Magazine und Bücher berühmt, die nah am Alltag ihre Motive suchten: von der unaufgeräumten WG-Küche über schwule Clubnächte reichte die Spannbreite bis hin zu Soldatenbildern, zu Aufnahmen von Aktivisten und Demonstranten.

Tillmans wurde als erster Fotograf überhaupt im Jahr 2000 mit dem bedeutenden Turner-Preis ausgezeichnet, der nach dem britischen Maler William Turner benannt ist und dessen Verleihung alljährlich von der Londoner Tate Gallery organisiert wird. Er hat als Fotograf die Bildsprache einer ganzen Generation geprägt und war auch einer der ersten, die ganz selbstverständlich politischen Inhalten in seiner Kunst Raum gaben.

Sein alltagstaugliches Verständnis von Politik verwirrte sein Publikum zuweilen fast. So wollte Tillmans bei einem Auftritt in den Münchner Kammerspielen lieber über eine "funktionierende Gerichtsbarkeit" als bedeutenden Wert sprechen als über die Werte des Kunstmarkts. Kurz darauf meldete er sich im Vorfeld des britischen Brexit-Referendums mit einer Serie von Postern, die so schöne Gedanken, wie "Kein Mensch ist eine Insel" in Slogans gegen den Ausstieg der Briten aus der Europäischen Gemeinschaft verwandelten. Er verschenkte sie als Download auf seiner Website und schrieb dazu: "Die EU ist keine Maschine; es ist die Repräsentation von 508 Millionen Menschen."

Als im vergangenen September die Bundestagswahlen anstanden, mahnte der Künstler, es gebe "keinen Grund, entspannt zu sein und zu glauben, die neuen rechtsnationalistischen Bewegungen würden an Deutschland vorüberziehen". Tillmans entwarf wieder Plakate, die einfach dazu aufriefen, wählen zu gehen - denn als Künstler hält er es gerade im gegenwärtigen politischen Klima für angezeigt, sich auch in das Tagesgeschäft der Politik einzumischen.

Tillmans ist, wie er mal in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung betonte, ein begeisterter Zeitungsleser. Er schätzte die Situation vor der Bundestagswahl so ein, dass allein "eine hohe Wahlbeteiligung und Stimmen für die anderen Parteien" helfen konnten, den "prozentualen Anteil der AfD klein" zu halten.

Gemeinsam mit dem Niederländer Rem Koolhaas, der vor einigen Jahren aus den Farben aller EU-Länder ein fein gestreiftes Logo für die Gemeinschaft entwarf, könnte es nun also einer internationalen Avantgarde der Kunst und der Kreativen vielleicht gelingen, woran Politiker scheitern: gegen die zerstörerische Propaganda der Nationalisten und Populisten ein positives Bild der Europäischen Gemeinschaft zu setzen.

Was ihn zu diesem fortgesetzten Engagement motiviert? Wie er es einmal in einem Brief an Freunde und Kollegen formulierte, war es das für seine Generation lange Undenkbare, die "Erfahrungen von Brexit, Trump und den 30 Prozent Front National in Frankreich", die den aktivistischen Künstler in einen Kunst-Aktivisten verwandelten.

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Quelle:
SZ vom 31.03.2018
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