Profil:Wer ist die Frau hinter dem Pseudonym Elena Ferrante?

Elena Ferrante

Die Bücher von Elena Ferrante sind Weltbestseller.

(Foto: AFP)

In 40 Sprachen wurde Ferrantes neapolitanische Saga schon übersetzt, zehn Millionen Bücher wurden weltweit verkauft. Doch die Autorin hat sich gegen den Weltruhm und für die Anonymität entschieden.

Von Karin Janker

Zu dem Namen Anita Raja gehört eigentlich ein Fragezeichen, denn bestätigt wurde nie, dass sich die Übersetzerin aus Rom tatsächlich hinter dem Pseudonym Elena Ferrante verbirgt. Dementiert wurde die Enttarnung allerdings auch nicht. So scheint es nun ein offenes Geheimnis zu sein, dass die Bestseller, die unter dem Autorennamen Elena Ferrante erscheinen, in Wirklichkeit von Anita Raja geschrieben werden, womöglich zusammen mit ihrem Ehemann Domenico Starnone - auch dies eine unbestätigte Vermutung.

Mit diesen Mutmaßungen können offenbar alle Beteiligten gut leben. Vor allem der Buchmarkt, denn die Werke Elena Ferrantes haben nicht nur ihren italienischen Verlag reich gemacht, sondern auch ihrem deutschen, Suhrkamp, ordentliche Verkaufszahlen beschert. In 40 Sprachen wurden die vier Romane ihrer neapolitanischen Saga bislang übersetzt, zehn Millionen Bücher weltweit verkauft, allein in Deutschland schon eine Million. Und der vierte Band ist gerade erst auf Deutsch erschienen. Man mag es erstaunlich finden, dass sich die Autorin gegen den Weltruhm entschieden hat. Ihr Spiel mit der geheimen Identität ist aber zugleich ein Lehrstück über den Status von Literatur, die ökonomischen Interessen dahinter, und den Umgang mit ihrem Kerngeschäft, dem Erfinden.

Denn das Phänomen Elena Ferrante verdankt einen Teil seiner Anziehungskraft dem Pseudonym selbst. Ferrante gibt so gut wie keine Interviews, macht keine Homestorys, entzieht sich dem Literaturbetrieb und der Öffentlichkeit. Ihre deutsche Übersetzerin, Karin Krieger, korrespondierte ausschließlich per E-Mail mit ihr. Als Motiv für die Anonymität nennt Ferrante, wenn sie sich doch einmal den schriftlich eingereichten Fragen von Journalisten stellt, dass sie allein ihre Bücher sprechen lassen wolle. Ob beabsichtigt oder nicht, die Verkaufszahlen profitieren von diesem Mysterium.

Ferrantes Neapel-Tetralogie kreist auf 2200 Seiten um zwei Frauen - um die Freundinnen Lenù und Lila, Alter Egos, Spiegelfiguren. Deren Lebensgeschichten verwebt Ferrante mit gesellschaftspolitischen Themen aus 60 Jahren: Vom Nachkriegsitalien über die Studentenbewegung bis in die Gegenwart geht es um den Einfluss der Camorra in Neapels ärmlichen Vierteln, um Gewalt gegen Frauen, feministische Hoffnungen und den Kampf um ein selbstbestimmtes Leben - und um die Rivalinnen Lenù und Lila. Man mag die Handlung mitunter kitschig finden, aber sie fasziniert ein weltweites Publikum über unterschiedlichste Kulturkreise hinweg. Auch renommierte Kollegen wie Zadie Smith und Jonathan Franzen gehören zu den Bewunderern.

Die 1953 in Neapel geborene Anita Raja kam als die Frau, die vermutlich Elena Ferrante ist, durch Recherchen des Reporters Claudio Gatti ins Gespräch. Er war durch Nachforschungen in Grundbucheinträgen zu dem Schluss gekommen, Raja müsse Ferrante sein, auch weil sie Immobilien besitze, die sie sich als Übersetzerin nicht leisten könne. Gatti strickte daraus einen Wirtschaftskrimi. Zusätzlich wies ein Algorithmus in Ferrantes Stil Ähnlichkeiten zu Rajas Übersetzungen nach. Anita Raja leitete jahrelang die Biblioteca Europea in Rom und hat Werke von Christa Wolf, Franz Kafka und Hermann Hesse ins Italienische übersetzt. Sie kennt das Lechzen des Literaturbetriebs nach biografischen Details und hat sich - falls sie Ferrante ist - schlicht dagegen entschieden.

Der Aufschrei, der auf die Enttarnung folgte, ging bis zu Vergewaltigungsanalogien. Hier habe ein Mann das Nein einer Frau nicht akzeptiert. Doch Ferrante ist geschickter, als ihre Verteidiger glauben: Schon 1992, bei der Veröffentlichung ihres ersten Romans, hatte sie angekündigt, keine Bücher mehr zu veröffentlichen, sollte ihr Pseudonym gelüftet werden. Wenn sie nun weiterschreibt, kann das zweierlei bedeuten: Entweder ist Anita Raja doch nicht Elena Ferrante. Oder sie trickst einfach alle aus.

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