Palästinensischer Pianist Aiham Ahmed:Mit Bach, Chopin und Jazz gegen den Terror

Palästinensischer Pianist Aiham Ahmed: Aiham Ahmed: Palästinensischer Pianist, der gegen die Herrschaft des Todes in Syrien anspielt.

Aiham Ahmed: Palästinensischer Pianist, der gegen die Herrschaft des Todes in Syrien anspielt.

(Foto: Rami Al-Sayed/AFP)

Kunst inmitten von Chaos: Aiham Ahmed spielt in dem umkämpften Lager Jarmuk inmitten von Trümmern Klavier. Ein verzweifelter Versuch, ein Stück Menschlichkeit zu bewahren.

Von Sonja Zekri

Die jüngsten Fotos auf seiner Facebook-Seite zeigen ausgestorbene Straßen, verrammelte Geschäfte, Trümmer. Und davor Aiham Ahmed, blass, ernst, sehr, sehr dünn, mit einem Schild in den Händen: "Wir in Jarmuk sind noch da." Am Dienstag schrieb er: "Dies war eine sehr schwere Nacht". Einen Tag davor: "Es geht uns gut hier, aber die Lage ist tragisch." Bilder von Aiham am Klavier sind älter. Neue werden wohl sobald nicht hinzukommen.

Jarmuk, eine Palästinenser-Siedlung am Rande von Damaskus, ist das jüngste Symbol für die herzzerreißende Ausweglosigkeit des Syrien-Krieges. Und Aiham Ahmed ist das jüngste Symbol für den ungebrochenen Überlebenswillen eines Künstlers in furchtbaren Zeiten.

Stadtviertel von der Regierung abgeriegelt

Jarmuk war einst das größte Palästinenserlager Syriens mit 800 000 Menschen, kein Zeltlager freilich, sondern ein richtiges Stadtviertel, gewachsen über Jahrzehnte und Ausdruck syrischer Solidarität für die palästinensischen Brüder.

Aber dann brach der Krieg aus, die Palästinenser gerieten zwischen die Fronten. Präsident Baschar al-Assad ließ das Lager abriegeln, Wasser, Strom, Internet, Telefon wurden zu seltenen Kostbarkeiten. Die UN konnte die Menschen nicht mehr versorgen. Typhus und Gelbfieber brachen aus, mehr als hundert Menschen verhungerten. Danach wurde es etwas besser. Und dann richtig schlimm.

Aiham Ahmed spielt in Jarmuk Bach, Jopin, Jazz

Jüngst nämlich drangen die Kämpfer des Islamischen Staates nach Jarmuk vor. Da hat Assad das Lager wieder abgeriegelt, seine Luftwaffe wirft Fassbomben ab. UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon spricht von einem "Todeslager". 18 000 Menschen sind noch übrig.

Einer ist Aiham Ahmed. Der Palästinenser, Jahrgang 1988, verheiratet und seit ein paar Monaten Vater eines Sohnes, spielt Klavier. Das hat er studiert, und das würde er gern zur Perfektion bringen. Aber um auszureisen, braucht er einen Pass. Und das ist für Palästinenser schwierig. Also spielte er in Jarmuk Bach, Chopin, Jazz.

Er spielt mitten auf der Straße, auf einem Klavier, das er mit einem Wagen durch die Straßen fährt, genauer: zwei Klavieren. Eines ist ein brauner Kasten, den er vor Jahren einer Libanesin abgekauft hat, das andere war weiß. Ahmed hat es in den palästinensischen Farben angemalt. Manchmal spielt er auch Mozart.

Der IS ist nicht die einzige Dschihad-Clique, nur die gefährlichste

Auf einem Video ist zu sehen, wie er in halsbrecherischer Geschwindigkeit durch das "Rondo alla turca" rast, hastig ist gar kein Ausdruck, gejagt trifft es besser. Er habe sich so beeilen müssen, weil die Nusra-Front gerade ins Lager gekommen war, schreibt er daneben. Der IS ist ja nicht die einzige Dschihad-Clique in Syrien, nur eben die gefährlichste.

Meist spielt er Lieder über das Leben im Lager, über UN-Pakete, Wassermangel, all die Freunde, die geflohen sind. Es sind sehnsüchtige Songs, ohne Pathos und Durchhalteparolen, manchmal mit feinem Witz. Ab und zu aber sind es auch herzzerreißende Knittelverse ("Das Wasser ist immer weg / Das Wasser ist immer noch weg / Die Straße ist kaputt / Wir sind belagert / Wie lange soll das noch so gehen?"), und weil er seine Zuhörer - meist Kinder - nicht überfordern will, beschränkt er sich auf ein pianistisches Humptata. Was ihn schmerzt. Dafür hat er nicht sechs Stunden am Tag geübt, damals, am Konservatorium neben dem syrischen Präsidentenpalast in Damaskus und später in Homs. Aber er weiß, dass die Menschen in Jarmuk keine musikalische Erziehung brauchen, sondern jenen Funken Hoffnung, jenen Wimpernschlag Ablenkung, der ihnen überleben hilft.

Viele halten ihn für wahnsinnig, manche dachten das immer. Die Menschen hungern, und er macht Musik. Aber es ist ja mehr als das, es geht ums Prinzip, darum, dass er sich diesem Krieg, der Herrschaft des Todes und der Gewalt einfach verweigert, dass er festhält, an dem, was der Mensch in seinen besten Momenten ist: empfindsam für Schönheit. Und für seinen Nächsten. Er ist ein Künstler im besten Sinne.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: