Profil:Ulinka Rublack

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(Foto: Friedrich Stark/Imago/Epd)

Preisgekrönte Historikerin der Hexenverfolgung.

Von Johan Schloemann

Leonberg bei Stuttgart, das kennen viele nur als Autobahndreieck aus den täglichen Staumeldungen. Aber Leonberg gehört auch zur schwäbischen Kulturlandschaft. Im örtlichen Schloss wohnte einst, am Anfang des 17. Jahrhunderts, eine verwitwete Landesfürstin und experimentierte neugierig mit einem Kräutergarten und einer topmodernen Apotheke herum. Doch während da der Geist des Fortschritts durch die Provinz wehen durfte, wurde kurz danach im selben Städtchen eine andere Witwe der Hexerei angeklagt. Sie hatte angeblich böse Wirkungen auf ihre Nachbarn und drohte gefoltert und verbrannt zu werden, so wie Zehntausende vermeintlicher Zauberinnen damals.

Diese Leonberger Witwe hieß Katharina Kepler. Ihr Sohn war der weltberühmte Astronom Johannes Kepler, Pionier der Naturwissenschaften, der die Umlaufbahnen der Planeten richtig berechnete und damit bestätigte, dass sie sich um die Sonne drehen. Er war durch humanistische Bildung und Stipendien aus seiner einfachen Herkunft in höchste Sphären aufgestiegen, wurde 1601 kaiserlicher Hofmathematiker in Prag. Doch als seiner Mutter der gefährliche Prozess gemacht wurde, zog Johannes Kepler mit seiner Familie zurück in die Heimat und übernahm mit allen Mitteln seiner Argumentationskunst die Verteidigung. Sechs quälende Jahre dauerte das, dann wurde Katharina Kepler gerade noch freigesprochen.

Diese Geschichte erzählt die Historikerin Ulinka Rublack in ihrem Buch "Der Astronom und die Hexe", das man zögert, "bezaubernd" zu nennen. Dafür und für ihre bisherigen Forschungen nimmt Rublack an diesem Freitag den wichtigsten deutschen Geschichtspreis entgegen, den Preis des Historischen Kollegs in München, der alle drei Jahre vergeben wird.

Ulinka Rublack rollt also den Kepler-Prozess noch einmal auf. Das tut sie nicht als Erste, aber sie führt uns genau und packend in die bunte Welt der frühen Neuzeit, und sie setzt neue Akzente: Anhand lokaler Akten kann sie zeigen, dass Leonberg damals, trotz schwieriger Lebensumstände am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges, keineswegs zu den ärmsten Gebieten gehörte. Damit werden die geläufigen Sündenbock-Theorien fraglich: Radikalisierung ist nicht immer nur mit sozialer Not zu erklären. (Wer da an AfD-Wähler in Westdeutschland denken mag, darf das zwischendurch gerne tun.) Und noch etwas lernt man an diesem Fall - hier die unfassbaren Hexenverfolgungen, dort der große Forscher, der selbst aber die Natur als eine göttliche "Weltmaschine" betrachtet: Wahn und Aufklärung, Magie und Rationalität sind nicht sauber zu trennen als gestrig und zukunftsweisend, sondern greifen in der Geschichte immer wieder ineinander.

Ulinka Rublack selbst, Jahrgang 1967, ist wie Kepler ebenfalls aus jener schwäbischen Gegend in die Welt gegangen: Seit den Neunzigerjahren arbeitet sie an der Universität Cambridge in England, sie hat dort einen renommierten Lehrstuhl inne und ist seit zwei Jahren auch Mitglied der British Academy. Aufgewachsen ist sie aber in einem Dorf bei Tübingen, wo ihr Vater als Historiker lehrte. Die Landschaft am Neckar, und auch der Dialekt, erzählt sie, "ist mir immer noch sehr nah".

Doch zugleich, sagt Rublack, sei das immer auch "eine gebrochene Heimat" gewesen: Ihre Eltern waren keine Schwaben, sie machte ihr Abitur dann in Hamburg; und heute, als eine führende Kulturhistorikerin der Reformationsepoche und der Renaissance, die meist nur noch in englischer Sprache schreibt, ist sie weit davon entfernt, etwa nur Heimatstudien zu betreiben. Ihre nächsten Projekte handeln von Albrecht Dürer sowie von der globalen Geschichte der Mode. Ihr Ehemann, mit dem sie zwei fast erwachsene Kinder hat, ist ein Historiker aus Portugal, der in London lehrt und über die katholische Inquisition gearbeitet hat. Eine solche Karriere macht man durch Fleiß, Glück und Klugheit - sie ist ganz sicher keine Hexerei.

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