Profil:Stefan Mielchen

Profil: Stefan Mielchen, schwuler Kritiker der Kanzlerin.

Stefan Mielchen, schwuler Kritiker der Kanzlerin.

(Foto: oh)

Schwuler Kritiker der Kanzlerin. Sprecher der Homosexuellen in Hamburg.

Von Thomas Hahn

Der Journalist Stefan Mielchen versprach eine gewisse Angriffslust, als er 2014 zum Vorsitzenden des Vereins Hamburg Pride und damit an die Spitze der Homosexuellen-Bewegung in der Hansestadt gewählt wurde. "Inhaltlich Gas geben" wolle er, sagte Mielchen damals. Er habe erstens "Bock drauf", zweitens "genug Wut im Bauch". Eineinhalb Jahr später kann man sagen: Der Mann hält Wort. Als Gastkommentator auf stern.de und als Interview-Gast des Deutschlandfunks hat er sich die Bundeskanzlerin Angela Merkel und deren verklemmte Art beim Thema gleichgeschlechtliche Liebe vorgenommen.

Die Gemeinde der Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender (LGBT) fühlt sich nicht gut vertreten von der Kanzlerin. Im Wahlkampf 2013 befremdete es sie sehr, dass Merkel erklärte, sie tue sich "mit der kompletten Gleichstellung schwer". Die LGBT-Verbände sehen in ihr eine Gleichstellungsbremse an der Spitze der CDU. "Sie steht dafür, dass seit Jahren nichts weitergeht", sagt Mielchen. Anlass für die jüngste Kritik war der Umstand, dass Merkel nach dem Attentat auf einen Gay-Club in Orlando zwar um die Opfer trauerte, aber nicht erwähnte, dass der Anschlag Schwulen und Lesben gegolten hatte. US-Präsident Barack Obama etwa sagte das und setzte damit ein Zeichen der Solidarität. "Dieses Signal vermeidet die Kanzlerin", klagt Mielchen.

Stefan Mielchen, 50, gehört zu den mutigen Köpfen einer gesellschaftlichen Minderheit, die immer noch um so etwas wie Normalität in einer aufgeklärten Welt ringen muss. Als Schüler und junger Lokalredakteur in seiner Heimatstadt Solingen wagte er noch nicht das Bekenntnis zu seiner Homosexualität. Sein Coming-out hatte er erst mit 27, nachdem er zum Politik- und Medienwissenschaftsstudium nach Marburg umgezogen war. Heute wirft er sich in den politischen Kampf. Schon als leitender Redakteur des Hamburger Schwulen-Magazins Hinnerk war er praktisch qua Job geoutet. Als Chef des Vereins, der den Christopher Street Day organisiert, ist er es erst recht. Und Mielchen kann nicht feststellen, dass sein Kampf entspannter würde. Er spürt pegida-ähnlichen Gegenwind, wenn die LGBT-Gemeinde für mehr Gleichstellung eintritt. "Das besorgt mich schon."

Die Kanzlerin übrigens auch. Am Donnerstag in Berlin wurde sie noch mal nach dem Anschlag von Orlando gefragt. Diesmal sagte Angela Merkel deutlich, dass der Attentäter auf Schwule und Lesben gezielt habe, und zitierte eine beunruhigende Umfrage: "Die homophobe Haltung hat zugenommen, das ist ein Warnsignal", sagte sie, "deshalb will ich noch mal deutlich machen, dass mein Denken und Handeln davon geleitet ist, dass unser Leben in offenen und freien Gesellschaften geprägt sein muss vom Respekt gegenüber dem jeweils anderen, egal, was er glaubt, egal, wie er aussieht, egal, wen er liebt." Mielchen lächelte, als er davon hörte, und er sagte: "Sie bewegt sich doch."

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