Süddeutsche Zeitung

Profil:Sergej Sobjanin

Bürgermeister der russischen Hauptstadt, der zum Bürgerschreck mutiert.

Von Julian Hans

Angenommen, jemand hätte die Absicht, selbst die gleichmütigsten Bürger gegen den Staat aufzubringen, er könnte schwerlich ein besseres Programm entwerfen, als Millionen Menschen aus ihren Wohnungen zu vertreiben mit dem vagen Versprechen, sie in neue umzusiedeln.

Mit seinem Plan zum Abriss der ersten Plattenbauten in der russischen Hauptstadt ist dem Bürgermeister Sergej Sobjanin gelungen, was die Opposition nur selten schafft: Zehntausende Moskauer gingen dieser Tage auf die Straße und protestierten. Sie wollen ihre Häuser vor dem Abriss bewahren, und sie glauben Sobjanins Versprechen nicht, dass sie als Ersatz für die marode Platte gleichwertige oder bessere Wohnungen bekommen.

Seit Montag dürfen Eigentümer und Bewohner von 4566 Gebäuden per Internet abstimmen, ob sie bereit sind zum Tausch. Gegner kritisieren das Verfahren als intransparent und leicht zu manipulieren. Auf der Liste stehen keineswegs nur baufällige Plattenbauten, wie ursprünglich angekündigt, sondern auch Backsteinbauten in gutem Zustand. Investoren dürften für manches Grundstück im Zentrum hohe Summen zahlen, um dann ein Vielfaches an Stockwerken zu bauen.

Dem 58 Jahre alten Bürgermeister liegt dabei eigentlich nichts ferner, als die Bürger gegen den Staat zu mobilisieren. Im Gegenteil: Sobjanin ist geradezu ein Rollenmodell für den Kreml-treuen Apparatschik der Putin-Zeit, ein Manager frei von Charisma und politischen Ambitionen. Mensch gewordene Verwaltung.

Der Sohn eines Kosaken hat nach Abschluss eines Ingenieur- und eines Jurastudiums in seiner sibirischen Heimat als Kommunalpolitiker begonnen. Dort, wo große Mengen Erdöl und -gas aus dem Permafrostboden gefördert werden. Als Gouverneur von Tjumen trat er 2001 als einer der ersten Gebietschefs in die neu gegründete Kreml-Partei Einiges Russland ein.

Vier Jahre später holte Putin ihn als stellvertretenden Stabschef in den Kreml, 2008 leitete er den Präsidentschaftswahlkampf von Dmitrij Medwedew. Der machte ihn 2010 zum Bürgermeister der Hauptstadt. Der Vorgänger Jurij Luschkow hatte Moskau 18 Jahre lang wie einen Staat im Staate regiert, während seine Frau als Bauunternehmerin zur reichsten Frau des Landes wurde.

Sobjanin fügte die Hauptstadt in die Putin'sche Machtvertikale ein. Die Moskauer verbinden seinen Namen derweil vor allem mit dem teuren Bordsteinpflaster, das überall neu verlegt wird; bei Regen wird es zum Bett für reißende Flüsse und weite Seen, bei Frost zur Eisbahn. Jenseits der Hauptstadt, wo es mitunter nicht einmal befestigte Straßen gibt, wird geklagt, die Reichtümer, die anderswo aus der sibirischen Erde geholt werden, würden im Boden der Hauptstadt wieder vergraben. Das Abriss-Programm - vom Bürgermeister "Renovierung" genannt - dürfte den Ärger über das Trottoir bald als Kleinigkeit erscheinen lassen.

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Quelle:
SZ vom 17.05.2017
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