Profil:Sardana Awksentjewa

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Bürgermeisterin in der kältesten Stadt der Welt.

Von Silke Bigalke

Wenn Bürgermeister wählen gehen, warten im Wahllokal die Fotografen. Im russischen Jakutsk ist das nicht anders, dort ist Sardana Awksentjewa beinahe ein Medienstar. Die Bürgermeisterin der kältesten Stadt der Welt trat jüngst im auffällig bunten Blumenkleid und mit Mundschutz an die Urne. Sie blickte in die Kameras, als sie ihren Stimmzettel einwarf.

Glaubt man den offiziellen Zahlen der vergangenen Woche, haben 78 Prozent der russischen Wähler für Wladimir Putins Verfassungsänderung gestimmt. Auch auf dem Foto von Sardana Awksentjewa, das später in sozialen Medien auftauchte, war ihr Kreuzchen für die Reform gut erkennbar. Bilder aber kann man ebenso manipulieren wie Wahlergebnisse. Da seien "Meister des Fotoshops" am Werk gewesen, erklärte der Sprecher der Bürgermeisterin auf Facebook. Seine Chefin hatte nämlich mit Nein gestimmt.

Jakutsk mit 320 000 Einwohnern liegt beinahe 5000 Kilometer östlich von Moskau. Vieles läuft hier anders als im weit entfernten Zentrum des Landes. Bei der Bürgermeisterwahl 2018 setzte sich Sardana Awksentjewa überraschend gegen den Kandidaten der Regierungspartei durch, gewann als Oppositionelle und als erste Frau. Ihr Sieg war auch deswegen möglich, weil der Bürgermeister in Jakutsk immer noch direkt gewählt wird. In den meisten regionalen Hauptstädten ist das längst anders. Mit Putins Reform werden Lokalregierungen nun sogar noch abhängiger vom Kreml. Eine Ja-Stimme wäre also ein Schuss ins eigene Bein gewesen, sagte Awksentjewas Sprecher.

Dabei betont die 50 Jahre alte Politikerin gerne, dass sie keine Oppositionsbürgermeisterin sei. Das täte Jakutsk, das von staatlichen Mitteln abhängt, auch nicht gut. Als Sardana Awksentjewa 2018 gegen den Kreml-Kandidaten gewann, sprachen viele zwar von Protestwahl. Doch Awksentjewa, die Geschichte und lokale Verwaltung studiert hat, hatte zuvor schon viele Jahre im Rathaus gearbeitet, in der Abteilung für Sport und Jugend, dann als Vize-Bürgermeisterin. Erst ihr eigener Wahlkampf lief klar gegen das Establishment. Als ihr niemand Werbeflächen vermieten wollte, klebte sie ihre Wahlplakate auf Lieferwagen. Als ihr alle Veranstaltungsräume verschlossen blieben, traf Awksentjewa ihre Wähler in privaten Gärten und Hausfluren. Als Rathauschefin verdiente sie sich den Spitznamen "eiserne Lady". Sie verkaufte alle teuren Autos und Geländewagen, die aufs Rathaus liefen, strich kostspielige Empfänge und Auslandsreisen, kündigte unzuverlässigen Auftragnehmern, tat etwas eher Untypisches für russische Lokalpolitiker: Sie sparte, was ihr viele Fans und große Aufmerksamkeit einbrachte.

Es reichte bisher nicht, um die drängendsten Probleme der Stadt zu lösen, die auf Permafrostboden gebaut ist und seit Jahren bröckelt, weil das Eis unter ihr taut. Wohnungen sind knapp, Gebäude haben Risse, Straßen Löcher. Moskau hatte eine Brücke über die Lena versprochen; der Fluss teilt Jakutien (Republik Sacha) in zwei Hälften und ist bei Hochwasser praktisch unpassierbar. Bisher lässt die Brücke auf sich warten und die Region fühlt sich abgehängt. Nirgends fiel das Ergebnis für Wladimir Putin bei der letzten Präsidentschaftswahl so schlecht aus. "Wir Jakuten sind eine etwas melancholische Nation," sagte die Bürgermeisterin einmal, "wir sind Nordländer, immer im Energiesparmodus. Wir streiten selten, sitzen still, sind konfliktscheu - und dann gehen wir einfach los und wählen."

Für die Verfassungsreform stimmten in Jakutien nur 58 Prozent. Sardana Awksentjewa fuhr nach der Abstimmung in den Urlaub, feierte ihren 50. Geburtstag in Sankt Petersburg. Von dort meldete sie sich per Instagram. Sie habe keine Revolution geplant, schrieb sie, sie habe nicht dazu aufgerufen, für oder gegen die Reform zu stimmen. Sie lud alle ein, nach Jakutsk zu kommen und zu sehen, unter "welch schwierigen Bedingungen" die Leute dort lebten.

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