Profil:Sam Smith

Profil: Britisches Falsettwunder und Interpret des neuen Bond-Songs: Sam Smith.

Britisches Falsettwunder und Interpret des neuen Bond-Songs: Sam Smith.

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Britisches Falsettwunder und Interpret des neuen Bond-Songs.

Von Jan Kedves

Was erwartet man von einem neuen Bond-Song? Drama, Drama, Drama! Man kann sich also schlecht beschweren: "Writing's on the Wall", das am Freitag vorgestellte Titelstück zu dem neuen 007-Film "Spectre", der am 5. November in die Kinos kommt, klingt so, als kralle sich jemand über einem kilometertiefen Abgrund mit nur einem Finger an ein rutschiges Seil, an dem auch längst die Geigen sägen.

Gesungen wird dieses neue Meisterwerk der melodischen Schwindelerregung von Sam Smith, einem 23-jährigen Soul-Tenor aus London, der zwar erst ein Album veröffentlicht hat ("In the Lonely Hour", 2014), welches ihm aber gleich mehrfach die Auszeichnung als "Bester Newcomer" eingebracht hat. Nicht nur im Februar bei den Grammy Awards in Los Angeles, sondern auch im Juni bei den vom US-Fernsehsender Black Entertainment Television vergebenen BET Awards - was fast noch die größere Nachricht war als die Grammy-Auszeichnung, denn dass ein offen schwuler weißer Soulsänger beim afroamerikanischen Publikum so gut ankommt, das gab es noch nie. Bislang hat sich "In the Lonely Hour" achteinhalb Millionen Mal verkauft.

Seinen kometenhaften Aufstieg krönt Smith nun vorerst damit, dass er sich in die Liste der legendären Bond-Promotion-Songs einschreibt: "Golden Eye" von Tina Turner, "Goldfinger" von Shirley Bassey, "Thunderball" von Tom Jones, um nur einige zu nennen. Stolz erzählt Smith, er habe das viereinhalbminütige Stück, dessen Titel (etwa: "Das Zeichen an der Wand") auf das Menetekel aus dem Buch Daniel des Alten Testaments anspielt, in nur 20 Minuten geschrieben. Und tatsächlich denkt man beim ersten Hören, hier seien wohl vier unzusammenhängende Refrain-Ideen einfach nach aufsteigender Tonhöhe sortiert und übereinander gestapelt worden. Wenige Stunden nach Veröffentlichung des Songs hieß es an verschiedenen Stellen im Internet schon, das sei wohl der schlechteste Bond-Titelsong aller Zeiten. Doch so kann man das nicht sagen: Beim zweiten Hören schüttet die Musikverarbeitungsstelle im Hirn jede Menge Melodiekleber aus, weswegen plötzlich dann doch alles wie aus einem Guss und sehr einleuchtend klingt.

Das Missverständnis liegt wohl darin, dass alle erwarten, der Song müsse "bombastisch" sein - weil Bond-Songs immer bombastisch sind. "Writing's on the Wall" entwickelt sein Drama jedoch auf völlig unbombastische Weise, die Pauken und Trompeten bleiben dezent im Hintergrund. Alles klingt ziemlich verletzlich. Vor allem im Refrain, in dem Smiths Falsettstimme in Helikopterhöhen kreist, begleitet nur von ein paar Klavierakkorden.

Besonders dieser Refrain lässt deutlich heraushören, dass Smiths gesangliche Vorbilder, wie er in Interviews mehrmals zu Protokoll gegeben hat, allesamt weibliche Soul-Sängerinnen sind: Beyoncé Knowles, Whitney Houston, und vor allem Mariah Carey. Zwar bringt Smith, der als Kind Jazz-Unterricht nahm und später in Jugend-Musicals mitspielte, mit seinen high notes keine Gläser zum Zerbersten wie Letztere, doch kommt sein juchzendes Ergriffensein und flatterndes Vibrato dem schon ziemlich nahe.

Was einen unweigerlich daran denken lässt, dass Pierce Brosnan, Daniel Craigs Vorgänger als Bond-Darsteller, zuletzt meinte, er könne sich durchaus vorstellen, dass Bond - der in seiner 53-jährigen Filmkarriere nicht nur 400 Gegner umgebracht hat, sondern auch mit 57 Frauen Sex hatte - in einem der nächsten Filme auch mal schwul sein könne. So weit ist es noch nicht. Doch gibt es jetzt eben schon mal einen Bond-Song, in dem einiges von der langen Tradition des queeren Falsett-Pops mitschwingt - von Sylvester über Jimmy Somerville bis zu Antony & The Johnsons. "Writing's on the Wall" konzentriert sich voll und ganz auf diese Stimme. Smith schraubt sie zum Schluss auf ein zweigestrichenes f herunter und lässt sie dann abrupt abreißen. So wie das Seil über dem Abgrund.

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