Holocaust-Gedenktag:Auschwitz-Überlebende Ruth Klüger: Sie glaubt an den Zufall

Ruth Klüger

Die Holocaust-Überlebende Ruth Klüger glaubt nicht an Fügung.

(Foto: dpa)

Heute spricht die Zeitzeugin im Bundestag. Dass sie dazu bereit ist, liegt an Deutschlands Umgang mit Flüchtlingen.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Sie ist eine Zeitzeugin, eine Überlebende, und deshalb wird Ruth Klüger an diesem Mittwoch im Bundestag stehen. Es ist der Holocaust-Gedenktag, der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor 71 Jahren, und die Schriftstellerin und Germanistik-Professorin spricht über Zwangsarbeit. Sie hat das selbst durchlitten als junges Mädchen, und sie hat darüber geschrieben in ihrem 1992 veröffentlichten Erinnerungsbuch "Weiter leben".

Dass sie nun als Rednerin eingeladen wurde zur jährlichen Gedenkfeier, hat mit dieser bedrückenden Vergangenheit zu tun. Dass sie gekommen ist und mit 84 Jahren eine doch stets beschwerliche Reise aus ihrem kalifornischen Wohnort auf sich nahm, hat für sie jedoch auch seinen Grund in der Gegenwart.

"Es gab eine Zeit, in der meinesgleichen, also die Juden, ausgestoßen und getötet wurden in diesem Land", hat sie vorab in einem Interview erklärt. "Und plötzlich ist da eine Regierung, die Flüchtlinge, die in Lebensgefahr sind, aufnimmt. Das beeindruckt mich sehr." Vor dieser Regierung nun eine Rede zu halten, so sagt sie, "das ist mir eine Ehre".

Andersherum ist es in jedem Fall eine Ehre für den Bundestag, zur Gedenkveranstaltung eine Rednerin wie Ruth Klüger gewonnen zu haben. Erinnerungskultur, die mit Pathos aufgeladen wird, ist ihr gewiss fremd. Klarheit, Sachlichkeit und auch Schonungslosigkeit sind eher ihre Markenzeichen, wofür ein oft zitierter Satz aus ihren 300 000 Mal verkauften Jugenderinnerungen steht: "In Birkenau bin ich Appell gestanden und hab Durst und Todesangst gehabt. Das war alles, das war es schon."

Ihre Themen: Antisemitismus und Feminismus

Als Tochter einer jüdischen Arztfamilie kam sie 1931 in Wien zur Welt. Mit zwölf Jahren wurde sie mit ihrer Mutter nach Theresienstadt und später nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Der Vater starb in Auschwitz, sie selbst überlebte nur, weil sie sich mit zwölfeinhalb als 15-Jährige ausgab und deshalb in ein Arbeitslager geschickt wurde. Kurz vor Kriegsende gelang ihr zusammen mit der Mutter auf einem der "Todesmärsche" die Flucht. An Fügung glaubt sie nicht, nur an den Zufall.

Der Zufall führte sie 1947 in die USA, und jüngst bekannte sie, dass dies für sie "das falsche Land" gewesen sei - und dass sie es bedauere, nicht in Israel gelandet zu sein. Als Literaturwissenschaftlerin jedoch hat sie in Amerika eine viel beachtete Karriere bis hin zur Professur in Princeton gemacht. Der Antisemitismus und der Feminismus sind bis heute ihre Themen.

Deutschland hat sie nicht gemieden, aber nie ohne Skepsis betrachtet. In Göttingen übernahm sie Ende der Achtzigerjahre eine langjährige Gastprofessur, hier begann sie auch die Arbeit am Bestseller "Weiter leben". Nun spricht sie vom Rednerpult des Bundestages aus zu einem Land, das gerade heftig über eine "Flüchtlingskrise" debattiert. Doch Ruth Klüger schaut auf die Aufnahmebereitschaft der Deutschen und attestiert gern, "dass sich da etwas radikal geändert hat".

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