Profil:Raphael Gross

Profil: Raphael Gross: Schweizer Kosmopolit und künftiger Direktor des Deutschen Historischen Museums.

Raphael Gross: Schweizer Kosmopolit und künftiger Direktor des Deutschen Historischen Museums.

(Foto: Fredrik von Erichsen/dpa)

Schweizer Kosmopolit und bald Direktor des Deutschen Historischen Museums.

Von Franziska Augstein

Raphael Gross mag keinen Käse und kein Schweinefleisch. Käse isst er nicht, "weil ich Schweizer bin". Das sagt er grinsend. Schinken meidet er, "weil ich Jude bin". Er ist zwar ein sehr säkularer Jude, aber so viel Jüdischsein muss sein. Sein Schweizertum hat ihm geholfen, sich der deutschen Schuld und dem, was in der Bundesrepublik mit dem unglücklichen Wort "Wiedergutmachung" bezeichnet wurde, aus der Distanz zu nähern.

Der designierte neue Direktor des Deutschen Historischen Museums in Berlin (DHM), der im Dezember seinen 50. Geburtstag feiert, wuchs in Zürich auf. Er studierte Geschichte und andere Fächer in Zürich, dann in Berlin, Bielefeld und Cambridge - bevorzugt befasste er sich mit dem Denken von Antisemiten. Das erklärte er mit dem englischen Diktum "Know thy enemy". Den "Feind" müsse man kennen, wolle man ihm begegnen. Dass sein Blick über den Holocaust weit hinausreicht, hat er schon als Direktor des Londoner Leo-Baeck-Instituts bewiesen. Als er dann zusätzlich Direktor des Jüdischen Museums in Frankfurt am Main war, arrangierte er unter anderem eine Schau über jüdisches Leben in der Antike zusammen mit der "Römisch-Germanischen Kommission", einer Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts. 2015 übernahm er das Simon-Dubnow-Institut in Leipzig, das zuvor von dem Historiker Dan Diner geführt wurde. Wann genau er am DHM anfangen kann, muss nun ausgehandelt werden.

Raphael Gross hat immer gewusst, dass es nützlich ist, von Älteren zu lernen: Man nimmt das Beste und lässt schlechte Ratschläge auf sich beruhen. Seine Erfahrungen in der Schweiz, Großbritannien, Israel und Deutschland haben ihn zu einem Kosmopoliten gemacht. Als Direktor des DHM will er "nicht Tabus brechen", sondern zeigen, welche Wirkkraft sie entfalten. Er setzt auf "Konfliktausstellungen": Das DHM betrachtet er als "ein Haus, wo die Besucher anhand der Vergangenheit historische und politische Urteilskraft" entwickeln können. Es komme darauf an, verschiedene Sichtweisen auf die Objekte verständlich zu machen: "Der Dreispitz von Napoleon sieht nicht für alle Touristen gleich aus." Seine Sichtweise könnte dem Museum zugutekommen, dessen bisherige Dauerausstellung bis zur besinnungslosen Erschöpfung der Besucher vollgeramscht ist mit Kleidung, Mobiliar, Waffen seit dem frühesten Mittelalter. Gross sagt: Durch das DHM laufen, das sei vergleichbar mit Ikea besuchen - man will irgendetwas finden, läuft aber ahnungslos an zig Regalen vorbei. In großen Handelshäusern findet man die gesuchten Teelichte irgendwann, im DHM ist die Suche nach Erkenntnis derzeit sehr schwierig.

Der neue Direktor ist ein zurückhaltender Mann. Ungern gibt er Interviews. Soll heißen: Er macht es nur, wenn er es für absolut nötig hält. Derzeit meint er: Erst mal muss man zeigen, was man kann; dann darf man sich für Komplimente oder Kritik bedanken. Gross will die auf die Geschichte bezogenen Wechselausstellungen des DHM aus aktuellen Fragen heraus entwickeln. An Problemen mangelt es der Welt nicht. Viel wird diskutiert über die Zukunft des Wohlfahrtsstaates. Da könnten sich Bezüge knüpfen lassen zu Bismarcks Sozialreformen. Populistische Bewegungen sind im Schwang - was waren denn eigentlich die populistischen Bewegungen des 19. Jahrhunderts in Deutschland, was ist überhaupt unter "Populismus" zu verstehen? Und wie verhält sich heutiger Nationalismus zu dem des 19. Jahrhunderts? Die DDR war - aus Sicht vieler - ein Betriebsunfall der Geschichte, ebenso wie die Nazizeit. Aber wie erging es Ausländern in dieser DDR: Vietnamesen, Angolanern, Palästinensern, Israelis? Eine weitere Frage: Mag sich aus früheren Religionskriegen nicht lernen lassen, dass diese befriedet werden können? Der neue Direktor des DHM hat viel vor und viel zu tun.

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