Süddeutsche Zeitung

Profil:Ramush Haradinaj

Kosovos Ex-Premier, der von der Vergangenheit eingeholt wird.

Von Peter Münch

Er muss nach Den Haag, schon wieder. Seit fast 20 Jahren ist Ramush Haradinaj jetzt Politiker, er trägt gern feinen Zwirn, er spricht in gewähltem diplomatischen Ton, zweimal schon hat er es an die Spitze der Regierung des Kosovo geschafft. Doch die Vergangenheit hat er nicht abschütteln können, und diese Vergangenheit ist geprägt von Krieg und blutiger Gewalt. Nun hat ihn das 2017 in den Niederlanden eingerichtete Sondertribunal für Kriegsverbrechen in Kosovo vorgeladen. Als Reaktion darauf ist Ramush Haradinaj am Freitagabend von seinem Amt als Premierminister zurückgetreten. Für das Land und die Region war es ein Paukenschlag - und ein Déjà-vu-Erlebnis.

Das Haager Sondertribunal hat die Aufgabe, Verbrechen der kosovo-albanischen Befreiungsarmee UÇK zu untersuchen. In deren Reihen hatte der heute 51-Jährige in den späten Neunzigerjahren im Krieg gegen die serbischen Streitkräfte an vorderster Front als Regionalkommandant gekämpft. Seither wird er von den einen als Held verehrt, von anderen werden ihm Folterungen und Morde vorgeworfen an Serben, an Roma und an albanischen Kollaborateuren.

Schon 2005 hat sich Haradinaj deshalb in Den Haag vor dem Jugoslawien-Tribunal einer Anklage wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit stellen müssen. Auch damals trat er als Premier zurück. 2008 wurde er freigesprochen - aus Mangel an Beweisen. Dieser Beweismangel rührte wohl nicht zuletzt daher, dass wichtige Zeugen zu Tode gekommen oder eingeschüchtert worden waren. Mit dieser Begründung jedenfalls wurde ein Teil des Prozesses wiederholt. Doch 2012 folgte der zweite Freispruch, und Haradinaj durfte sich über einen Heldenempfang in der Heimat freuen.

Dort, in der gebirgigen Gegend Westkosovos, war er 1968 als ältestes von sieben Kindern einer Bauernfamilie geboren worden. Freiwillig hatte er sich 1988 zum Dienst in der jugoslawischen Armee gemeldet. Aber als der Druck der Serben auf die albanische Bevölkerung Kosovos immer stärker wurde, setzte er sich 1989 in die Schweiz ab, wo er politisches Asyl bekam. Er schlug sich durch als Türsteher und Kampfsport-Trainer, schloss sich im Exil früh dem bewaffneten Widerstand an und kehrte 1998 als UÇK-Untergrundkämpfer nach Kosovo zurück.

Im Krieg starben zwei seiner Brüder, ein dritter wurde später aus einem Auto heraus erschossen, und auch Ramush Haradinaj fand eher schwer vom Kampf zur Politik. Bei einer mit Waffen und Sprengstoff ausgetragenen Fehde mit einer anderen Familie wurde er im Jahr 2000 so schwer verletzt, dass er zur Behandlung in ein Militärkrankenhaus nach Deutschland ausgeflogen wurde. In den Folgejahren fiel sein Name immer wieder in Zusammenhang mit Korruption und Organisierter Kriminalität.

Dennoch gelang es ihm, sich mit seiner 2001 gegründeten Partei Allianz für die Zukunft Kosovo (AAK) als politische Kraft zu etablieren. Nebenher erwarb er noch ein Jura-Diplom in Pristina und gewann mit kraftvoller Reform-Rhetorik auch das Vertrauen vieler westlicher Politiker. Als er 2005 zum ersten Mal nach Den Haag aufbrach, verabschiedete ihn der damalige Chef der UN-Mission als "Freund".

Bis heute setzt der Westen zur Stabilisierung Kosovos auf die starken Männer aus der alten UÇK. Das nach langem Gezerre geschaffene Sondertribunal könnte dieses System nun aber erschüttern durch Ermittlungen und mögliche Anklagen. Neben Haradinaj, der 2017 als Frontmann einer Allianz ehemaliger Kriegsführer an die Regierungsspitze gerückt war, könnten die Haager Ermittler bald auch den Staatspräsidenten und früheren UÇK-Chef Hashim Thaçi ins Visier nehmen. Kosovo also steht vor unruhigen Zeiten, doch fürs Erste hat Haradinaj seine Anhänger beruhigt. Er werde vor dem Tribunal seine "Ehre als albanischer Kämpfer" verteidigen.

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SZ vom 22.07.2019
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