Profil:Nils Brandt

Kapitän Nils Brandt
(Foto: Carsten Rehder/dpa)

Der Kapitän der Segelschulschiffs Gorch Fock ist sturmerprobt und leidgeprüft.

Von Mike Szymanski

Nils Brandt, Kommandant der Gorch Fock, hat natürlich mitbekommen, dass es höchste Zeit ist, seine Besatzung aufzumuntern. Seit drei Jahren liegt ihr berühmter Dreimaster im Trockendock einer Bremerhavener Werft. Seit drei Jahren harrt die Kernbesatzung beim Schiff aus. So ist es üblich, wenn bei der Marine ein Schiff in die Werft geht.

Untergebracht sind die Männer und Frauen auf einem Hausboot der Marine, dem Wohnschiff Knurrhahn. Es hat direkt hinter dem Dock festgemacht. Für Leute wie Brandt, 52 Jahre alt, einsneunzig groß und wegen seiner kräftigen Erscheinung von den eigenen Leuten gerne mal als "Seebär" bezeichnet, ist das natürlich kein Zustand, so lange an Land gebunden zu sein. Da kam Brandt der Gedanke, einen Aufnäher entwerfen zu lassen, genau für diese seltsame, zähe Zwischenzeit. Es zeigt die Gorch Fock, so, wie viele sie in Erinnerung haben: anmutig in Weiß, mit gesetzten Segeln. "Wir sind Gorch Fock" steht darüber. Und darunter: "Sturmerprobt und leidgeprüft".

Sturmerprobt und leidgeprüft - treffender könnte Brandt nicht ausdrücken, wie es ihm und seiner Besatzung gerade ergeht. Die Sanierung der 60 Jahre alten Gorch Fock entwickelt sich zum Skandal. Die Kosten sind aus dem Ruder gelaufen, von anfangs knapp zehn Millionen auf mittlerweile mindestens 135 Millionen Euro. Gerade erst hat Brandt Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) über die Baustelle Gorch Fock geführt. Von ihrem Überraschungsbesuch erfuhr er selbst erst am frühen Morgen.

Mehr als ein nackter Stahlrumpf ist gerade nicht übrig von der Bark. Ein Anblick, an den Brandt sich gewöhnt hat, weil er jeden Tag nichts anderes sieht als ein zerlegtes Schiff. Von der Leyen hatte aber Mühe zu erkennen, wo vorne und hinten ist. Und: wo die weit mehr als 70 Millionen Euro geblieben sind, die der Steuerzahler bereits in die Sanierung des Schiffes gesteckt hat. Sie muss in den nächsten Wochen entscheiden, ob die Gorch Fock noch eine Zukunft hat.

Zweimal bereits hatte Kapitän zur See Brandt um die Zukunft seines Schiffes bangen müssen: 2017 und 2018, immer dann, als bekannt wurde, dass sich die Sanierung enorm verteuern würde und die Gorch Fock zur Chefsache wurde. Er war sich beide Male nicht sicher, ob die Politik diesen Druck aushält. So groß wie jetzt war dieser aber noch nie. Rechnungsprüfer kritisieren eklatantes Missmanagement. Zudem überschattet ein Korruptionsverdacht die Sanierung. Mittlerweile ist klar, dass die Gorch Fock faktisch ein Neubau sein wird - sofern die Arbeiten abgeschlossen werden. So viel des Materials muss ausgetauscht werden, denn jahrzehntelang wurde am Schiff gespart.

Nils Brandt hat im Juni 2014 das Kommando übernommen. 1986 hatte er drei Monate seiner Ausbildung auf dem Segelschulschiff absolviert. Bevor er das Kommando übertragen bekam, war er Erster Offizier an Bord. Mehr als die Hälfte seiner Stammbesatzung, etwa 50 Männer und Frauen, haben das Schiff aber noch nie im Wasser erlebt. Sie müssen sich mit Ausbildungsvideos und Trockenübungen, etwa fürs Knotenmachen, begnügen, mit denen der Kommandant die Zeit zu überbrücken versucht.

Das Leben auf dem Wohnschiff setzt allen zu. Es geht schon damit los, dass die Internet-Verbindung zu wünschen übrig lasse, wie die Leute berichten. Auch sonst findet die Besatzung in Bremerhaven schwer Anschluss. Sie führt ein Leben auf einem Industriegelände, wo tagsüber gehämmert, geschweißt und geschliffen wird. Bis ins Stadtzentrum von Bremerhaven sind es ein paar Kilometer. Der nächste Discounter ist so weit weg, dass viele es vorziehen, im schiffseigenen Kiosk einzukaufen. Es ist ein abgeschottetes Leben, ein wenig wie auf See, nur dass sich ihr Schiff keinen Meter bewegt. Brandt sagt, er finde es "unglaublich bewundernswert", wie die Mannschaft mit der Lage klarkomme.

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