Süddeutsche Zeitung

Profil:Mohamedou Ould Salahi

Ex-Häftling in Guantanamo.

Von Moritz Baumstieger

Irgendwann in den kommenden Wochen wird ein Flugzeug abheben in Nouakchott, der Hauptstadt Mauretaniens. Darin wird ein kahlrasierter Mann sitzen, der jung aussieht für das, was er in 48 Jahren überstanden hat. Wahrscheinlich wird er lächeln, denn das tut er meistens. Und wenn die Maschine abhebt, wird er mit großer Sicherheit erleichtert sein: endlich ein Flug ohne Handschellen, ohne Kapuze über dem Kopf. Der erste Flug seit dem Frühjahr 2000, den er freiwillig antritt - er kann ihn kaum erwarten.

Die letzten Male, die Mohamedou Ould Salahi reiste, tat er das unter Zwang: Im Jahr 2001 wurde er in seiner Heimat auf Geheiß der USA festgenommen und verschleppt. Über Jordanien und Afghanistan landete Salahi im Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba, wo er Isolationshaft, Folter und sexuelle Übergriffe durchleiden musste, aber auch eine sehr ungewöhnliche Freundschaft fand. Als Salahi nach 15 Jahren endlich freikam, war er ein Bestsellerautor: Als Autodidakt hatte er sich in der Haft Englisch beigebracht und zu schreiben begonnen. Anwälte setzten durch, dass seine Chroniken aus der Hölle veröffentlicht wurden. Die "Guantanamo-Tagebücher" (fälschlich unter dem Namen Slahi veröffentlicht) verstörten wegen Salahis Schilderungen, aber auch wegen der Zensurorgien der US-Behörden, die ganze Seiten schwärzten.

2016 deportierten ihn die USA in seine Heimat. Salahi lebte nun wieder in Nouakchott, freute sich, die Familie zu sehen und das Grab der Mutter besuchen zu können, die zwischenzeitlich gestorben war. Wirklich frei war er aber immer noch nicht - auf Druck der USA verweigerte man ihm Reisedokumente. Seine Zelle in Guantanamo hatte er gegen ein größeres Gefängnis getauscht: Mauretanien.

Jetzt, drei Jahre später, hat Salahi ein Foto von sich mit einem grünen Büchlein in der Hand in den sozialen Medien veröffentlicht. 34 Seiten ist es dünn und doch so wertvoll: "Vor Kurzem sagte meine Regierung, dass das verhängte rechtswidrige Verbot aufgehoben wurde", berichtet er der SZ. "Ich wurde angerufen und informiert, dass ich den Pass beantragen könnte, was ich sofort tat." Salahi erzählt das in fließendem Deutsch. Bevor seine Odyssee begann, studierte er in Duisburg Maschinenbau. 1990 reiste er von dort nach Afghanistan, um den Widerstand gegen die von der Sowjetunion gestützte Regierung zu unterstützen. Er schwor einer damals noch kaum bekannten Gruppe die Treue, die wohl auch vom Westen unterstützt wurde: al-Qaida. Nach eigener Aussage brach er bald alle Verbindungen ab, angeekelt vom Verhalten, das die Islamisten nach dem Abzug der Sowjets zeigten.

Doch die Vergangenheit holte ihn immer wieder ein: Sein Cousin diente al-Qaida-Chef Osama bin Laden zeitweise als Berater und rief Salahi von dessen Satellitentelefon an. Ein anderes Mal beherbergte er auf Bitten eines Freundes drei Studenten für eine Nacht, die Jahre später zum Terrorkommando des 11. September 2001 gehören sollten. Als die US-Geheimdienste nach 9/11 all das herausfanden, waren sie überzeugt, in Salahi einen hohen Terrorkader gefunden zu haben und ließen ihn so hart foltern, dass er noch heute unter den Spätfolgen leidet. Doch irgendwann waren selbst seine Ankläger von seiner Unschuld überzeugt, einer nannte ihn "eine Art Forrest Gump" - nach der Filmfigur, die ohne Absicht durch viele zeitgeschichtliche Momente stolpert.

Auch Salahis Leben wird nun verfilmt, nach der Freilassung nahm es noch ein paar hollywoodreife Wendungen. Einer der Wärter, mit dem er sich in Guantanamo anfreundete, ist zum Islam konvertiert, hat Salahi in Mauretanien besucht und wurde nun Patenonkel von dessen Sohn. Ahmed ist diesen Frühling geboren und hat seinen Vater bisher nur auf Bildschirmen gesehen. Er lebt mit seiner amerikanischen Mutter in Deutschland - dorthin wird die erste freiwillige Reise führen, die Mohamedou Ould Salahi bald antreten wird.

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Quelle:
SZ vom 09.11.2019
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