Profil:Michel Temer

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(Foto: Eraldo Peres/dpa)

Skandalumtobter Präsident Brasiliens, der auch noch den Regenwald opfern könnte.

Von Boris Herrmann

Wie auch immer alles ausgehen mag für Michel Temer, langweilig wird es ihm bestimmt nicht: Nächste Woche bricht Brasiliens Präsident zu einer lange vereinbarten Reise auf, die ihm aber nicht mehr in den Terminkalender passt. Er fliegt überhaupt nur deshalb nach Russland, so wird kolportiert, weil er den Eindruck vermeiden will, "sein Land stehe still". Dass Brasilien gerade stillstünde, kann man nun wirklich nicht sagen. Es bewegt sich einiges - allerdings nicht in Richtung einer funktionierenden Demokratie.

Es wird allgemein erwartet, dass der brasilianische Generalstaatsanwalt Rodrigo Janot den Staatspräsidenten in Kürze vor dem Obersten Gerichtshof anklagen wird, wegen Korruption, Behinderung der Justiz und Bildung einer kriminellen Vereinigung. Während Temer also in Russland die Rolle eines handlungsfähigen Politikers vortäuscht, könnte zu Hause in Brasília die entscheidende Schlacht um seine Absetzung beginnen. Und als ob das nicht schon genug wäre für den 76-Jährigen, der seit seinem ersten Tag im Amt amtsmüde wirkt, muss Temer vor seinem Abflug nach Moskau eigentlich auch noch schnell entscheiden, ob er die Welt rettet.

Der Beitrag zur Weltrettung hat mit dem Amazonas-Regenwald zu tun, der knapp die Hälfte des brasilianischen Territoriums bedeckt. Noch. Dieser Regenwald gilt als der größte Süßwasserspeicher der Erde und beeinflusst maßgeblich das Klima auf dem Planeten. In diesen Tagen wird er aber behandelt wie eine Spielkarte im Machtpoker in Brasília.

Temer hat noch bis nächste Woche die Gelegenheit, mit seinem Veto ein bereits vom Parlament gebilligtes Gesetz zu blockieren, das die Umwandlung von 600 000 Hektar Regenwald-Schutzgebiet in Viehzucht- und Ackerland erlaubt. Das Gesetz gehört zu einer ganzen Reihe von Initiativen, die der Agrarwirtschaft dienen sollen, aber dem Amazonas schaden. Umweltorganisationen sehen eine Schutzfläche von der Größe Portugals bedroht.

Damit geriete auch der brasilianische Beitrag zum Pariser Klimaabkommen in Gefahr. Temer gilt einerseits als Freund des Abkommens, andererseits hängt seine politische Zukunft davon ab, ob er im Kongress eine stabile Mehrheit behält. Nur so kann er den anstehenden Prozess vor dem Obersten Gericht und mithin seine Suspendierung verhindern. Zu dieser Kongressmehrheit gehört auch die parteiübergreifende Agrarlobby, also jene Leute, die das Abholzgesetz durchgeboxt haben. Diese sogenannten Ruralistas, die gut 200 von 513 Parlamentssitzen besetzen, haben mehrfach mit dem Bruch gedroht, falls Temer von seinem Vetorecht Gebrauch machen sollte. Wirklich nur leicht zugespitzt steht er damit vor der Frage: Fällt er selbst oder fallen Bäume?

Solch ein Dilemma wünscht man niemandem. Es ist aber auch nicht zu bestreiten, dass sich Temer selbst in die missliche Lage manövriert hat, seit er 2016 vom Vizepräsidenten zum Staatschef aufstieg. Er hatte mit dünnen juristischen Argumenten und großem moralischem Eifer seine langjährige Verbündete Dilma Rousseff per Impeachment verdrängt.

Nun liegen gegen den Juristen Temer, der von katholischen Einwanderern aus Libanon abstammt, 23 Impeachment-Anträge vor. Einer Absetzung wegen illegaler Wahlkampffinanzierung konnte er zuletzt nur entgehen, indem er seine ganze Klüngelkunst mobilisierte. Der Prozess, den Janot vorbereitet, basiert auf einem Gesprächsmitschnitt, den der weltgrößte Fleischproduzent Joesley Batista im Zusammenhang mit seinem Korruptionsgeständnis der Justiz aushändigte. Darin klingt es, als habe Temer Batista dazu aufgefordert, Schweigegeld an einen korrupten Mitwisser zu bezahlen. Temer behauptet, die Aufnahme sei gefälscht. Das glaubt ihm fast niemand. Um sich trotzdem an der Macht halten zu können, verteilt Temer nun Posten und Geschenke, anstatt zu regieren. Das nächste Geschenk könnte ein Kettensägenmassaker im Regenwald auslösen.

© SZ vom 17.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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