Süddeutsche Zeitung

Brexit-Debatte:Warum Camerons engster Vertrauter für den Brexit wirbt

Jusizminister Michael Gove verdankt dem Premier seine gesamte politische Karriere. Doch in der EU-Frage sind ihm Prinzipen wichtiger als Loyalität.

Von Christian Zaschke

Dass Michael Gove, 48, heute als Justizminister im britischen Parlament sitzt, verdankt er David Cameron. Genau genommen, verdankt er Cameron seine ganze politische Karriere, denn dieser hatte den ehemaligen Journalisten Gove dazu ermuntert, bei den Wahlen im Jahr 2005 anzutreten. Er half ihm dabei, in einem sicheren Wahlkreis aufgestellt zu werden, und nachdem Cameron im Herbst 2005 Chef der Konservativen geworden war, machte er Gove zu einem seiner engsten Vertrauten. Umso enttäuschter dürfte der Premierminister darüber sein, dass Gove sich nun in der EU-Frage gegen ihn gestellt hat und für einen Austritt der Briten wirbt.

Cameron ist für einen Verbleib in der EU, er hat es seinem Kabinett jedoch freigestellt, sich vor der Volksabstimmung über die Mitgliedschaft am 23. Juni für eines der Lager zu entscheiden. Von 29 Ministern haben sich am Samstag sechs dazu entschieden, seiner Linie nicht zu folgen. Dass Gove zu dieser Gruppe gehört, ist einerseits überraschend, andererseits konsequent.

Der Mann, der der Brexit-Kampagne intellektuelle Tiefe verleihen kann

Der Justizminister ist ein Mann der Prinzipien. Das bedeutet, dass er äußerst loyal ist. Es bedeutet aber auch, dass er zu seinen Überzeugungen steht - komme, was da wolle. Wenn er einmal glaubt, etwas als richtig erkannt zu haben, gibt es kein Zurück. Das haben zum Beispiel die Lehrerverbände erfahren müssen, als Gove von 2010 bis 2014 Bildungsminister war.

Gove hatte sich überlegt, das Schulsystem radikal umzukrempeln und den Lehrkanon zu verändern (er suchte persönlich Bücher aus, die auf dem Lehrplan stehen sollten), weil er den Eindruck hatte, Oberflächlichkeit und Verdummung machten sich im britischen Schulwesen breit. Lehrer und Eltern protestierten wütend, was Gove nicht beirrte. Die Vereinigung der Schulleiter sprach dem Minister öffentlich ihr Misstrauen aus. Schließlich war die Stimmung so vergiftet, dass Cameron seinen Vertrauten von dem Posten abzog und ihn ein Jahr lang als parlamentarischen Geschäftsführer zwischenparkte, bevor er ihn 2015 zum Justizminister machte. Auf seinem neuen Posten streitet Gove, der englische Literatur studiert hat, seither mit Anwälten und Richtern.

Von den sechs EU-Gegnern im Kabinett ist Gove derjenige mit dem größten politischen Gewicht. Er gilt als der Mann, der der Austrittskampagne intellektuelle Tiefe verleihen kann. Insofern könnte es Cameron schmerzen, seinen Weggefährten auf der anderen Seite zu sehen. Zugleich weiß er jedoch, dass sich Gove in seiner Laufbahn so viele Feinde gemacht hat, dass manche Wähler versucht sein könnten, für den Verbleib in der EU zu stimmen - einfach nur, weil der Justizminister dagegen ist.

Gove hat lange mit sich gerungen, er bezeichnet die EU-Frage als schwierigste seines politischen Lebens. Es schmerze ihn sehr, anderer Ansicht zu sein als David Cameron, sagt er. Aber er habe keine andere Wahl.

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SZ vom 22.02.2016/pamu
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