Profil:Mescalero

Klaus Hülbrock, 2002
(Foto: Thorsten Denkler)

Tarnname, unter dem sich der Lehrer Klaus Hülbrock nach 16 Jahren wieder zu Wort meldet.

Von Willi Winkler

Für einen Autor verfügt Klaus Hülbrock über ein leicht überschaubares Werk. Das Publikumsinteresse war zwar immer gewaltig, doch war das für ihn kein Grund, sich in die Talkshows zu drängen. Fast niemand kennt den 69-Jährigen; er ist ein Phantom. Im Jahr 1977 hat er sich vernehmen lassen, dann erst wieder 2001. Der Abstand zwischen seinen Veröffentlichungen blieb für einen Erfolgsschriftsteller viel zu groß. Jetzt, nach einer Pause von weiteren sechzehn Jahren, ist er wieder aufgetaucht. Marktkonform ist das nicht.

Unter dem Tarnnamen "Mescalero" veröffentlichte Hülbrock 1977 ein Pamphlet, in dem er sich zu seiner "klammheimlichen Freude" über den Tod von Siegfried Buback bekannte. Wenige Wochen zuvor hatte die RAF in Karlsruhe den Generalbundesanwalt und seine beiden Begleiter brutal ermordet. Es gab eine beispiellose Jagd auf den "Mescalero", Drucker, die das Pamphlet herausbrachten, wurden hart bestraft, Professoren, die den Text publizierten und zur Debatte stellen wollten, als "Sympathisanten" des Terrors inkriminiert und von der niedersächsischen Landesregierung drangsaliert, nur der anonyme Autor wurde nicht gefunden.

Im Eifer der wilden Jagd wurde seine Botschaft ganz überlesen. Der "Mescalero" bot nicht nur einen Blick in seine eigene Mördergrube, vor allem forderte er die Mordbuben und -mädchen von der RAF zur Umkehr auf: "Wir alle müssen davon runterkommen, die Unterdrücker des Volkes stellvertretend für das Volk zu hassen (...). Unser Weg zum Sozialismus (wegen mir: Anarchie) kann nicht mit Leichen gepflastert werden." Die RAF fand das Pamphlet überhaupt nicht gut und setzte ihren Feldzug gegen den Staat mit unverminderter Härte fort, aber die Unterstützerfront begann durch Hülbrocks Aufruf zu bröckeln. Kein Text hat in der elenden Geschichte des deutschen Terrorismus mehr Heil angerichtet.

Zur Jahrtausendwende ist die RAF längst Geschichte und Gegenstand schießfreudiger Spielfilme. Die Täter sind zum großen Teil entdeckt und verurteilt worden, nur der "Mescalero" bleibt verborgen. Erst 2001, als der damalige grüne Umweltminister Jürgen Trittin verdächtigt wird, der "Mescalero" zu sein, meldet sich Hülbrock aus dem Untergrund, in dem er sich offenbar nie befunden hatte. Nach eigenen Angaben hat er daran gearbeitet, "ausländischen Studenten und Wissenschaftlern die deutsche Sprache und Kultur nahezubringen".

An dieses soziale und nicht radikale Engagement erinnert der "Zwischenruf", den Hülbrock nun nach sechzehnjährigem Schweigen in der taz veröffentlicht hat. Er reagiert damit auf einen "Kampftext" des ehemaligen RAF-Terroristen Karl-Heinz Dellwo, der die Krawalle in Hamburg als "Riot" bejubelt hatte. "Mir ist ganz schlecht geworden", schreibt er und zieht ein Fazit, das den Brandsatzwerfern so wenig gefallen wird wie den friedlichen Demonstranten: "Der G-20-Protest ist dumm gelaufen. Die ganze Bewegung läuft sich dumm. So kommt sie den Herrschaften niemals bei."

Klaus Hülbrock ist nicht mehr der freche Autor, der sich mit dem Indianernamen "Mescalero" in die Nachkriegsgeschichte geschrieben hat. Sein "Zwischenruf" klingt eher verzweifelt: "Es brennt überall, nicht nur im Schanzenviertel", schreibt er. "Die Politik und ihr Anti braucht einen energischen Stopp." Der "Mescalero" hat die "kleine, radikale Minderheit", der er einmal angehörte, nicht vergessen, aber eine Lösung weiß er auch nicht. "Ein Moratorium, eine lange Atempause, die den Entscheidungswahnsinn unterbricht und entkrampft", stellt er sich vor.

Hülbrocks kleines Manifest, ratlos und ungehobelt wie der Text, den der "Mescalero" seinerzeit als Friedensangebot in das mörderische Jahr 1977 schmuggelte, endet vierzig Jahre später in Resignation: "Ich würde nur noch für die Ungewissheit auf die Straße gehen."

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