Süddeutsche Zeitung

Profil:Marwan Abboud

Der Gouverneur von Beirut muss jetzt den Wiederaufbau leiten.

Von Dunja Ramadan

Eigentlich würde der Gouverneur von Beirut, Marwan Abboud, lieber Falafel verkaufen. Heiße Kichererbsenbällchen über die Theke reichen, ein Schwätzchen mit den Passanten halten und spätabends, wahrscheinlich nach Frittierfett riechend, nach Hause fahren. Ein einfaches Leben führen, wie es wahrscheinlich Millionen Menschen im Nahen Osten tun. All das sei besser, als in Libanon Korruptionsermittlungen gegen kleine Beamte zu leiten, sagte er im Fernsehinterview mit dem libanesischen Sender al-Manar. Das Thema der Fernsehsendung "Heißer Draht" lautete damals, 2018: "Massenweise Bestechungsgelder und das vor deinem Auge, oh Staat. Wo sind die Überwachungsbehörden?" Es ist das Thema, das nun bei den Ermittlungen zu den verheerenden Explosionen am Beiruter Hafen wieder im Vordergrund steht.

Seit Juni ist der 51-Jährige - mit Unterstützung des libanesischen Staatspräsidenten Michel Aoun - Gouverneur der Hauptstadt und damit jetzt auch für den Wiederaufbau verantwortlich. Seine Ernennung feierte Marwan Abboud in seinem Heimatdorf Douma in den Bergen, es liegt in einem Tal rund 80 Kilometer von Beirut entfernt. Dort haben die kleinen Häuser traditionell rote Dächer, die christlich-orthodoxe Gemeinde empfing Abboud mit Sekt und Rosen. Zwei Monate später, an diesem Dienstagabend, war er nun einer der Ersten, die sich ein Bild von der Verwüstung am Beiruter Hafen machen mussten. Er brach vor laufender Kamera in Tränen aus, fragte, wie man bei solchen Bildern denn nicht weinen könne und verglich die Zerstörungen sogar mit den US-Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki.

Für Abboud sind die verheerenden Explosionen auch eine persönliche Tragödie. Als er noch Leiter der Disziplinarbehörde des Landes war, waren ihm die großen Korruptionsfälle verwehrt, worüber er sich immer wieder beschwert hatte. Damals forderte er, man müsse die Hälfte aller libanesischen Beamten wegen Korruptionsvorwürfen entlassen und stattdessen arbeitslose Jugendliche in deren Jobs bringen. Mittlerweile zeigen die ersten Ermittlungen, dass es die Fahrlässigkeit der politischen Führung gewesen sein könnte, welche die jahrelange Lagerung von 2750 Tonnen Ammoniumnitrat im Hafen von Beirut überhaupt möglich machte. In jenem Hafen, dessen Verwaltung und Zollbehörde landesweit als korrupt gelten. Jetzt muss Abboud mit den Folgen dieses Versagens irgendwie umgehen.

Dabei hatte er seinen Job als Korruptionsbekämpfer hingeworfen, weil er das Gefühl hatte, er könne nichts erreichen: 2019 bat der ehemalige Richter um seine Versetzung an den Rechnungshof - eine Arbeit, die laut der libanesischen Tageszeitung an-Nahar mit einer schlechteren Bezahlung und geringerem Ansehen einherging. Er begründete diesen Schritt damit, dass er sich nicht länger mit den kleinen Tätern begnügen wolle, denn die Korruption reiche bis ganz nach oben.

Die jüngsten Versäumnisse könnten ihn in dieser Annahme bestätigen. Seit seinem Antritt als Gouverneur von Beirut erklärt Abboud der Korruption regelmäßig den Krieg. An-Nahar nennt den orthodoxen Christen deshalb einen "reinen Menschen", der bereits in der Vergangenheit die Stimme erhoben habe, weil er in seiner Arbeit den "Schmerz des Gewissens" verspürte.

Als Gouverneur will Abboud den Armen und Unterdrückten zur Seite stehen und sich bemühen, die Umwelt und den archäologischen Charakter der Stadt zu bewahren, wie er an-Nahar erzählte. Auch die Müllkrise wollte er angehen, denn, so Abboud vor der Katastrophe, Beirut sei ein Juwel. Nun müssen diese Probleme, die den Alltag der Menschen so erschweren, erneut hinten anstehen. Und der Gouverneur sieht sich vor Herausforderungen, die er - ohne wirklichen politischen Wandel - nicht stemmen kann. Ob er sich in diesen schweren Tagen an einen Falafelstand sehnt?

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SZ vom 07.08.2020
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