Profil:Martha Nussbaum

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Martha Nussbaum. (Foto: imago)

Preisgekrönte Philosophin der Emotionen, die schon früh auf weibliche Themen gesetzt hat.

Von Karin Janker

Als Frau in der Philosophie ist das eigene Geschlecht zwangsläufig politisch. Martha Nussbaum kann darüber zahlreiche Geschichten erzählen, viele traurige, einige erschütternde und solche, die zornig machen. Die "Philosophin des Gefühls", wie der New Yorker sie nannte, sprach über sexuelle Übergriffe, lange bevor es #MeToo gab. Ihr Doktorvater habe sie immer wieder belästigt, erzählte sie. Anfang der 70er-Jahre war Nussbaum als erste Frau Junior Fellow für Recht und Ethik in Harvard. Während ihrer Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Dozentin habe es an ihrer ganzen Fakultät keine andere Frau gegeben. Ihr habe es daher immer an weiblichen Vorbildern gefehlt, sagt Nussbaum. Der Philosoph Bernard Williams war es, der sie bestärkte, über Themen zu schreiben, die als "zu weiblich" galten, zu weiblich für die Philosophie jedenfalls.

Nussbaum folgte seinem Rat, sie publizierte Kluges über Liebe, Freundschaft, Emotionen - und scheute nicht den Kontakt zu Medien, um für ihre Forschung zu werben. An diesem Montag erhält sie in New York den Berggruen-Preis, der mit einer Million Dollar dotiert und neben dem Kyoto-Preis und dem Kluge-Preis eine jener Auszeichnungen ist, die als "Nobelpreis für Philosophie" gehandelt werden. Den Kyoto-Preis bekam sie 2015.

Nussbaums Werk nimmt einen Faden auf, der die Philosophie seit der Antike durchzieht: die Frage nach der Praxis des guten Lebens. Gleichzeitig ist ihre Forschung höchst aktuell. Wenn sie über die politische Wirksamkeit von Angst, Neid und Scham schreibt, blickt sie auf die USA heute. Trump ist für sie auch ein Produkt überschäumender Emotionen.

Zu ihrer dezidiert politischen Art des Philosophierens fand sie nicht nur über das Studium philosophischer und literarischer Schriften - sie bezieht sich immer wieder auf Platon und Aristoteles, auf Henry James und Proust -, sondern auch über persönliche Begegnungen: Ihren einflussreichen Theoriebeitrag zum sogenannten Befähigungsansatz etwa entwickelte sie zusammen mit ihrem damaligen Lebensgefährten Amartya Sen. Der Ansatz ist die theoretische Grundlage für den Human Development Index der Vereinten Nationen. Er versucht, verfassungsmäßige Prinzipien philosophisch zu unterlegen. Nussbaums Konzept der Menschenwürde gründet darauf, dass dazu auch emotionale und soziale Wesenheiten gehören.

Dabei betrachtet sie nicht nur den Umgang von Menschen miteinander, sondern auch deren Umgang mit anderen Lebewesen: Am kommenden Freitag hält sie an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität einen Vortrag über Tierethik. Ihr Gastvortrag eröffnet ein Forschungskolleg zur praxisorientierten Ethik.

Aufgewachsen ist die 1947 in New York City geborene Martha Craven in einem wohlhabenden, konservativen Elternhaus, der Vater Anwalt, die Mutter Hausfrau. Nussbaum studierte klassische Philologie in Havard, 1969 heiratete sie den Altphilologen Alan Nussbaum, konvertierte zum Judentum, das Paar bekam eine Tochter. Heute ist Nussbaum Professorin für Ethik und Rechtswissenschaften an der University of Chicago. Mit diesem Lebenslauf hätte sie im Elfenbeinturm bleiben können. Doch verlässt sie ihn zeitweise immer wieder. Ihre Feldstudien führten sie in Entwicklungsländer, etwa nach Indien.

Dass Martha Nussbaum in diesem Mai 71 Jahre alt geworden ist, scheint sie kaum zu spüren: Sie läuft Halbmarathon, trainiert fast täglich. Sie ist das, was gern als "starke Frau" bezeichnet wird. Und erforscht doch Verletzlichkeit in Sphären wie der politischen, wo eher das Starksein zählt und Frauen schnell nachgesagt bekommen, sie seien "zu emotional". Nussbaums Karriere ist daher auch die Geschichte einer Selbstermächtigung: Ihre Forschung, die diesem Klischee scheinbar entspricht, ist gerade deshalb einzigartig.

© SZ vom 10.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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