Parlamentswahlen in Italien:Das neue Gesicht der italienischen Protestbewegung

Parlamentswahlen in Italien: Luigi Di Maio (r) ist der Spitzenkandidat der Cinque Stelle von Beppe Grillo (l) für die Parlamentswahlen in Italien.

Luigi Di Maio (r) ist der Spitzenkandidat der Cinque Stelle von Beppe Grillo (l) für die Parlamentswahlen in Italien.

(Foto: AFP)

Luigi Di Maio führt die Cinque Stelle als Spitzenkandidat in die Parlamentswahlen in Italien. Er wechselt seine Prinzipien schnell, zeigt Schwächen in Geografie und Grammatik - trotzdem könnte seine Partei die meisten Stimmen bekommen.

Von Oliver Meiler

In der italienischen Politik sind erstaunliche Karrieren möglich, die denkwürdigste Geschichte schreibt gerade Luigi Di Maio, ein schmaler Mann mit jungenhaft glatten Gesichtszügen aus Pomigliano d' Arco bei Neapel. Er ist 31 Jahre alt und hört auf den Titel "Capo politico", politischer Chef. So rufen sie ihn bei seiner Partei Cinque Stelle, seit er die Onlinewahl zum Spitzenkandidaten gewonnen hat. Und da sich seine Fünf Sterne anschicken, bei den Parlamentswahlen am 4. März stimmenstärkste Partei Italiens zu werden, ist nicht ganz unerheblich, wer dieser Luigi Di Maio ist.

In Brüssel hält man ihn für ein Schreckgespenst, für die personifizierte Bedrohung des Euro. Die Sorge ist natürlich stark übertrieben. Die Protestbewegung Cinque Stelle wird zwar wohl tatsächlich von allen Parteien die meisten Stimmen gewinnen: jüngsten Umfragen zufolge könnten es 27 Prozent werden. Doch da die Fünf-Sterne-Bewegung sich bislang immer weigerte, mit anderen Formationen zu koalieren, bleibt ihr die Macht wahrscheinlich verwehrt. So ist auch die Aussicht, dass Di Maio italienischer Premier wird, sehr gering.

Di Maio vermeidet allzu populistische Töne

Dennoch bemüht sich der Informatiktechniker neuerdings mit rührseliger Hingabe, der Welt zu beweisen, dass er ein verlässlicher Politiker sei, ein ganz normaler sozusagen. Er reist dafür ins Ausland, verwirft fix ein paar Prinzipien und vermeidet allzu populistische Töne. Man nennt ihn schon "den Christdemokraten unter den Sternen", die Mäßigung in Person. Er trägt Anzüge, die zu diesem Profil passen: dunkelblau bieder, gar nicht rebellenhaft.

Früher waren die Cinque Stelle mal Feinde der Großbanken und multinationalen Konzerne; die gehörten für sie zum bösen "System". Nun nimmt Di Maio auch an Meetings von Industriellen teil und buhlt um die Gunst der Unternehmer. Früher hieß es, der Staat müsse sparen. Nun sagt Di Maio, Italien sollte Steuern senken und staatliche Investitionen pushen, und wenn dabei gegen Brüsseler Defizitvorgaben verstoßen werde, dann sei's drum.

Und dann ist da noch die konfuse Geschichte mit dem Euro. Früher versprachen die Fünf Sterne, dass sie, wenn sie mal regierten, ein Referendum durchführen würden, damit die Italiener über einen Ausstieg aus der Gemeinschaftswährung abstimmen könnten. In einem Interview sagte Di Maio: "Gäbe es ein Referendum, ich würde für den Ausstieg stimmen." Das ist vier Wochen her. Unterdessen hat er seine Meinung total revidiert. Ein Volksentscheid, sagt er nun, sei momentan nicht nötig.

Cinque Stelle regiert in Rom desolat - ihrer Popularität schadet das nicht

Kohärenz ist nun mal eine überschätzte Kategorie in diesen volatilen Zeiten. Bei den Cinque Stelle geht das schon seit Jahren so, da purzeln die Positionen wild durcheinander. In manchen Fragen stehen sie links, in anderen weit rechts - gerade so, wie der Wind weht. Bisher schadete ihnen diese Unverbindlichkeit nicht. Auch ihr desolates Regieren in Rom, wo die Partei seit bald zwei Jahren die Bürgermeisterin stellt, schmälert ihre Popularität nicht. Offenbar profitieren die Cinque Stelle davon, dass für viele Italiener die alten Parteien noch immer das größere Übel sind.

Di Maio wird oft belächelt, weil er sich in Geografie und Geschichte nicht so gut auskennt. Auch nicht in der Grammatik: Einmal unterliefen dem Liebling von Beppe Grillo, dem Parteigründer und Komiker, in einem einzigen Tweet drei Konjunktivfehler. Im Netz gibt es Sammlungen von Di Maios Versprechern und Sottisen zu lesen. Doch auch diese ironische Geringschätzung schadet ihm nicht, eher im Gegenteil: Vielleicht ist es ja so, dass einer wie Di Maio dem Volk näher steht als ein Politiker mit geschliffenem Mundwerk. Di Maio war arbeitslos, als er in die Politik wechselte und über Nacht Abgeordneter wurde. Das war vor fünf Jahren. Sein Studium hatte er abgebrochen, die Partei bot eine tolle Karrierechance. Jetzt ist er schon "Capo politico"; eine Traumkarriere, fünf Sterne.

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