Lola braucht nur eine Minute, und der Kulturaufpasser im Anzug weiß schon nicht mehr, wo er hinschauen soll. Lola tanzt auf der Bühne, der Beamte sitzt vor ihr in der leeren Halle und begutachtet geniert ihren Auftritt. Ist das zu frivol, werden hier Grenzen überschritten? Lola trägt unter dem offenen Mantel einen engen schwarzen Ledermini und hohe Stiefel, der Zensor schiebt verlegen die Brille hoch und reibt sich die Augen. Übersprungshandlung eines verunsicherten Herren. Acht Minuten dauert der Spaß, den sich die usbekische Popsängerin Lola Yuldasheva, oft nur Lola genannt, in ihrem Musikvideo erlaubt. Eine kunstvolle Spitze gegen die Kleiderkontrolleure des Staates.
Der Clip heißt "Erzähl mir von deiner Liebe 2". Er ist Yuldashevas satirische Variante des Musikvideos, das vor einem Monat auf den Markt gekommen ist. Ihre Fans zeigen sich entzückt über so viel Chuzpe gegenüber der autoritären Behörde. "Revolutionär" sei das, von "Sozialprotest" ist die Rede. Die Künstlerin selbst scheint die Wirkung ihrer Persiflage vorsichtig zu machen. Auf ihrem Instagram-Konto, das 2,2 Millionen Abonnenten hat, kritisiert Yuldasheva, "einige Nachrichtenseiten" hätten den Clip politisiert. Sie werde Politik nicht kommentieren und habe dazu auch keine Beziehungen. Ihr gehe es darum, mit Humor, Witz und Selbstironie die Grenzen und die Bürokratisierung der Kunst zu streifen.
Lola Yuldasheva schreibt, dass "wir in einer Epoche der Veränderungen leben und Menschen endlich freier atmen und offener ihre Gedanken äußern können". US-amerikanische Verhältnisse sind in Usbekistan damit nicht eingezogen. Ihre US-Kollegin Pink kann gefahrlos "Dear Mr. President" singen, bei Lola reicht ein falsches Kleid. Zum Beispiel das leuchtend rote, sehr kurze mit dem tiefen Rückenausschnitt. Sie trug es 2015 bei einem Konzert in ihrer Heimatstadt Taschkent und wurde dafür von den Behörden verwarnt. Es habe nicht der "nationalen Mentalität" entsprochen und beeinflusse negativ das Bewusstsein der Jugend.
Seitdem ist zwar der Diktator Islam Karimow gestorben und eine leichte frische Brise weht durch das zentralasiatische Land. Aber wenn die Kleidung der Sängerin zu westlich, zu freizügig ist, gefährdet sie auch jetzt ihre Lizenz, die sie für usbekische Bühnen oder das nationale Fernsehen braucht. Einige Kolleginnen von Lola haben wegen ihrer Outfits ihre Konzertgenehmigung verloren.
Lola Yuldasheva, 34, Sängerin des Jahres 2005, tippt mit ihrem Clip also sehr grundsätzliche Fragen an: Wie eng definiert der Staat moralische Werte? Wie frei ist die Kunst? Welche Rolle spielen Traditionen im muslimisch geprägten Zentralasien? Welche Einflüsse aus Russland, dem Westen, dem arabischen Raum lassen Politik und Gesellschaft zu?
Lola schreibt die Texte ihrer Songs selbst, viele von ihnen sind Liebeslieder. Sie singt auch auf Russisch, gibt in Moskau Konzerte. Und wenn sie dort ihre Garderobe verknappt, funkt niemand dazwischen. Doch die Unterschiede zwischen Russland und den einstigen Sowjetrepubliken werden größer. Diese hatten sich einst den Sitten der Kommunisten notgedrungen angepasst. Aber seit der Unabhängigkeit setzen sie auf eigene Identität und Traditionen. Auch bei der Kleiderordnung. Lola hat allerdings in Moskau studiert, reiste zum Austausch nach London. Ihr liberaler, manchmal freizügig-kokettierender Stil kann in Usbekistan ebenso begeistern wie auf Grenzen treffen. Als Lola verwarnt wurde, sagte ihre Designerin, sie entwerfe Kostüme für Künstlerinnen, nicht für Bibliothekare oder Islam-Studentinnen. Und nun?
Die Leiterin des staatsnahen Frauen-Komitees hat das neue Video angesehen. Mit ihrer Kritik habe Lola vielleicht recht. Wie diese sich lustig macht, fand sie dagegen nicht witzig, räumte aber ein: "Leider wird die Sängerin von vielen Usbeken unterstützt."