Profil:Lew Ponomarjow

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(Foto: Pavel Golovkin/AP/dpa)

Der russische Menschenrechtler wurde schikanös inhaftiert.

Von Silke Bigalke

Der Präsident war da, für knapp zweieinhalb Minuten. Er hat sich verabschiedet von Ljudmila Alexejewa, der Mutter der russischen Menschenrechtsbewegung, hat dunkelrote Rosen vor den offenen Sarg gelegt und sich kurz neben die Angehörigen gesetzt. Ganz Moskau, so schien es, trauerte gemeinsam. Einer aber fehlte: Lew Ponomarjow, Menschenrechtler und Weggefährte der Toten. Ausgerechnet vergangene Woche wurde er zu 25 Tagen Gefängnis verurteilt. Es war ohnehin eine schwarze Woche für das Häuflein russischer Menschenrechtler. Drei Tage nach dem Schuldspruch starb die 91-jährige Alexejewa im Krankenhaus. Lew Ponomarjow, 77, sitzt nicht das erste Mal im Gefängnis. Doch nun trifft ihn seine Strafe, die inzwischen auf 16 Tage reduziert worden ist, besonders hart. Vor Gericht hatte er, um Freigang zu bekommen, "außergewöhnlich schwierige Umstände" angeführt, den Tod "eines nahestehenden Menschen". Nicht nahe stehend genug, urteilte das Gericht. Die Beerdigung hat er nun verpasst.

Dabei hatte bereits der Grund, warum er einsitzt, für viel Unverständnis gesorgt. Lew Ponomarjow hatte über Facebook eine nicht genehmigte Protestveranstaltung empfohlen, das reichte für den Schuldspruch. Eltern hatten dazu aufgerufen, für die Rechte von inhaftierten Kindern und Jugendlichen zu demonstrieren. Seit Monaten stehen mehrere junge Menschen unter Arrest, weil sie angeblich einer extremistischen Gruppe angehören, die als kritische Chatgruppe begann. Beim stillen Protest gegen ihre Haft waren zahlreiche Demonstranten festgenommen worden. Noch auf dem Weg ins Gefängnis warnte Lew Ponomarjow davor, dass das Land "in die politische Massenunterdrückung abrutscht".

Beide, er und Ljudmila Alexejewa, haben in den vergangenen Jahren zu spüren bekommen, dass die Regierung Hilfsorganisationen wie ihre immer häufiger wie Volksfeinde behandelt. Beide setzen sich seit Sowjetzeiten für Menschenrechte ein. Beide waren Gründungsmitglieder der Organisation Memorial, die seit 1988 an die Opfer politischer Unterdrückung erinnert. Ljudmila Alexejewa war zudem an den Anfängen der Moskauer Helsinki-Gruppe beteiligt, gegründet 1976 und heute die älteste Menschenrechtsorganisation Russlands. Auch dort kreuzten sich später die Wege der zwei Unbeugsamen. Von beiden findet man Fotos, auf denen sie noch im Rentenalter von Polizisten abgeführt werden.

Lew Ponomarjow, Doktor der Physik und der Mathematik, war anfangs selbst in der Politik, kurze Zeit auch Abgeordneter in der Duma. Danach gründete er seine Organisation "Für Menschenrechte" und konzentrierte sich auf Kritik am Kreml und den Kampf für politisch Verfolgte. Er schloss sich dem Oppositionsbündnis "Anderes Russland" an und demonstrierte an der Seite von Boris Nemzow gegen die Willkür der Regierung und für die Freilassung von Michail Chodorkowski. Wohl auch deshalb wurde er 2009 von unbekannten Männern vor seiner Wohnung zusammengeschlagen.

Es war nicht das letzte Mal, dass er Prügel bezog. 2013 ließ die Polizei das Büro seiner Menschenrechtsorganisation gewaltsam räumen, angeblich war der Mietvertrag ausgelaufen. Lew Ponomarjow kam mit Blutergüssen und Schrammen davon. So sind die russischen Menschenrechtsschützer immer öfter damit beschäftigt, sich selbst vor Angriffen zu schützen. Manche, zuletzt auch Ljudmila Alexejewa und Lew Ponomarjow, verzichten inzwischen bewusst auf finanzielle Hilfe aus dem Ausland, um nicht als "ausländische Agenten" zu gelten und noch größere Einschränkungen zu riskieren.

Ljudmila Alexejewa soll sich noch kurz vor ihrem Tod für Lew Ponomarjow eingesetzt haben. Weil nun der Präsident zu ihrer Trauerfeier kam, fand die unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen statt. Möglicherweise durfte sich Ponomarjow auch deshalb nicht von ihr verabschieden.

© SZ vom 12.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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