Süddeutsche Zeitung

Profil:Kim Pyong-il

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Nordkoreas berühmtester Onkel und ehemaliger Botschafter.

Von Christoph Giesen

Fast vierzig Jahre hat er im Ausland gelebt. Er war Botschafter in Ungarn, Finnland, Polen und zuletzt in der Tschechischen Republik. Im November vergangenen Jahres ist er nach Pjöngjang zurückgekehrt: Kim Pyong-il, der Onkel von Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un. Eigentlich ist er Pensionär, wäre da nicht die bange Frage, die seit nunmehr drei Wochen unbeantwortet ist. Wo steckt der Neffe?

Seit dem 11. April ist Kim Jong-un verschwunden. Hat sich nicht zu den Feierlichkeiten am 15. April gezeigt, dem Tag der Sonne, dem Geburtstag von Staatsgründer Kim Il-sung. Auch wenig später beim Jahrestag der Koreanischen Volksarmee fehlte Kim Jong-un - beides absolute Pflichttermine in Nordkorea. Gerüchte machen seitdem die Runde, Kim Jong-un sei erkrankt, über eine Herzoperation wird spekuliert, ein Fernsehsender aus Hongkong erklärte den Diktator vor ein paar Tagen gar für tot. Allmählich fangen auch Diplomaten, Beamte und Geheimdienstler überall auf der Welt an, sich Sorgen zu machen: Wer folgt auf Kim Jong-un, sollte dieser wirklich im Alter von 36 Jahren nicht mehr amtsfähig sein?

Als mögliche Kandidatin wird immer wieder Kims jüngere Schwester, Kim Yo-jong, genannt. Sie hat ihn bei den Olympischen Winterspielen 2018 im südkoreanischen Pyeongchang vertreten und ist mit nach Singapur und Hanoi zu den Gipfeln mit US-Präsident Donald Trump gereist. Aber reicht das, wenn das Regime von heute auf morgen einen neuen Kim an der Spitze braucht, ohne dass sie von ihrem Bruder als offizielle Nachfolgerin aufgebaut werden konnte? Würden die mächtigen Generäle im Land eine Frau Anfang 30 akzeptieren? Die Wahrheit ist: Kaum eine andere Gesellschaft in Asien ist so chauvinistisch geprägt wie die nordkoreanische; bis vor einigen Jahren war es Frauen nicht gestattet, Fahrrad zu fahren. Käme es tatsächlich zu einem abrupten Machtwechsel in Pjöngjang, dürfte Kim Pyong-il, der Botschafter im Ruhestand, wohl die größten Chancen haben.

Geboren wurde er 1954, nach dem Ende des Koreakriegs. Sein Vater ist der Staatsgründer Kim Il-sung, sein Halbbruder Kim Jong-il, der Vater des nun vermissten Kim Jong-un. Während seiner Kindheit galt Kim Pyong-il als Lieblingssohn von Kim Il-sung: "Ein potenzieller General wurde in unserer Familie geboren", sagte dieser einmal. Halbbruder Kim Jong-il sah früh einen Rivalen in ihm. Und tatsächlich: Ende der Sechzigerjahre überlegte Kim Il-sung, die Macht im Land zu teilen; Kim Jong-il als Parteichef und Kim Pyong-il als Oberbefehlshaber der Koreanischen Volksarmee.

Es kam anders. Kim Jong-il setzte sich durch und wurde 1980 zum alleinigen Nachfolger ernannt. Kim Pyong-il ging ins Ausland, zunächst als Militärattaché nach Belgrad. 1988 wurde er zum nordkoreanischen Botschafter in Budapest ernannt. Nachdem Ungarn diplomatische Beziehungen mit Südkorea aufgenommen hatte, zog Kim Pyong-il mit seiner Frau und den beiden Kindern nach Helsinki. 1998 erfolgte die Versetzung nach Warschau. 17 Jahre blieb er in Polen. Als Botschafter trat er dort kaum in Erscheinung, ließ sich allenfalls bei Empfängen der Russen oder der Syrer sehen. Stattdessen machte er Geschäfte: Unter seiner Ägide gründete die Botschaft eine eigene Zeitarbeitsfirma und holte nordkoreanische Arbeiter nach Polen. Sie schufteten auf Werften, in Papierfabriken oder bei Zulieferbetrieben der Automobilindustrie. Den Großteil ihres Lohns mussten die Gastarbeiter aus Nordkorea in der Botschaft abgeben.

In der Heimat war Kim Pyong-il hingegen nur selten. Sein Halbbruder Kim Jong-il misstraute ihm bis zuletzt. Zur Trauerfeier des Vaters flog er 1994 zwar zurück, auf Fotos und Videoaufnahmen wurde sein Gesicht jedoch auf Anordnung Kim Jong-ils herausretuschiert. Die alten Kader im Apparat aber, auf die es nun im Fall der Fälle ankäme, kennen Kim Pyong-il noch immer gut.

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SZ vom 02.05.2020
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