Süddeutsche Zeitung

Profil:Katrín Jakobsdóttir

Islands neue Regierungschefin mit den unwahrscheinlichsten aller Koalitionspartner.

Von Silke Bigalke

Die wohl beliebteste Politikerin Islands ist Katrín Jakobsdóttir schon lange. Niemandem vertrauen die Isländer mehr, glaubt man den Umfragen. Am liebsten hätten viele die 41-Jährige vergangenes Jahr schon zur Präsidentin gewählt, dabei war sie dafür gar nicht angetreten. Damals tobte der Skandal um das Offshore-Vermögen mehrerer Minister durch Reykjavik, und die Demonstranten tobten vor dem Parlament. Rücktritte, Neuwahlen, viele rechneten damit, dass Katrín Jakobsdóttir nun wenigstens Premierministerin würde, die Gute, die Ehrliche, die Frau, der Island vertraut. Sie blieb in der Opposition, weil sie keine verlässliche Koalition fand. Jetzt, ein Jahr, eine Regierungskrise und einige Skandale später, übernimmt sie den Job doch - mit dem unwahrscheinlichsten aller Partner.

Um regieren zu können, hat sich Katrín Jakobsdóttir ausgerechnet mit den alten, konservativen Parteien Islands zusammengetan, der Fortschritts- und der Unabhängigkeitspartei. Sie ist Chefin der Links-Grünen Bewegung, ihre Partei möchte für soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz stehen - und auch für mehr Anstand und Moral in Islands Politik. Ihr Gegenspieler im Parlament hieß stets Bjarni Benediktsson, der bisher Premier war, davor Finanzminister. Benediktsson ist derjenige, der immer wieder Skandale produziert, weil er bevorzugt, verschweigt und hintergeht. Nun ist er der starke Mann neben Jakobsdóttir. Er verzichtet zwar auf den Premierministerposten, bekommt aber fast alle wichtigen Ministerien: Finanzen, Außenpolitik, Fischerei, Justiz, Tourismus und Industrie. "Höchst ungewöhnlich", so nannte die Premierministerin die Koalition. Kann sie gutgehen?

Wenn man Katrín Jakobsdóttir in den Monaten seit der Panama-Papers-Krise in Reykjavik traf, sah sie oft angestrengt aus. Immer hat sie einen Schal um den Hals gewickelt, eine zierliche Frau, fast elfenhaft - wobei man mit dem Vergleich in Island vorsichtig sein muss. Jakobsdóttir spricht konzentriert und wirkt deshalb oft streng. Denkt sie daran, knipst sie zwischendurch ein Lächeln an. Sie, Mutter von drei Söhnen, möchte alles richtig machen. Anders als Benediktsson stammt sie nicht aus einer Unternehmerfamilie, sondern ist mit Professoren und Dichtern verwandt. Sie hat Isländisch und Französisch studiert. Nach ihren versteckten Talenten gefragt, hat sie mal geantwortet, sie könne gut sticken. Eine Abenteurerin ist die neue Premierministerin sicher nicht. Sie vermeidet es, zu viel zu versprechen. Anders als die Piratenpartei, die große Hoffnungen auf sich gezogen hatte und nun wieder stark an Unterstützung verlor, gelten die Links-Grünen als etabliert. Sie waren schon an einer Regierung beteiligt, Jakobsdóttir war Bildungsministerin - ihr Lieblingsressort. Es passt zu ihrer manchmal oberlehrerhaften Art.

Nach der Wahl vor einem Jahr hat sie Bjarni Benediktsson noch abgesagt, damals erschien ihr der Graben zwischen den Parteien unüberbrückbar zu sein. Auch jetzt muss sie aufpassen, dass ihre Ziele nicht untergehen, mehr Geld für Bildung und Krankenhäuser etwa. Sie will das durch höhere Steuern finanzieren, was Bjarni Benediktsson nicht gefallen dürfte - und er wird Finanzminister. Viele Links-Grüne waren gegen die Zusammenarbeit, einige sind ausgetreten. Zwei der elf Abgeordneten wollen die Koalition ihrer Chefin nicht unterstützen, im Parlament hat Jakobsdóttir so nur eine knappe Mehrheit. Es ist ein Wagnis und trotzdem vielleicht die stabilste Alternative des Landes, das von einer Regierungskrise in die nächste schlittert und in dem es von Neuwahl zu Neuwahl schwieriger wird, Mehrheiten zu finden. Man könnte sagen, Katrín Jakobsdóttir ist mit der Dreier-Koalition die isländische Variante von Jamaika gelungen. Doch die Isländer erhoffen sich viel mehr: Dass Katrín Jakobsdóttir ihnen Stabilität bringt und Vertrauen in die Politik. Sie mag keine echte Elfe sein, aber ein wenig übermenschliche Kräfte könnten nicht schaden.

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SZ vom 02.12.2017
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