Süddeutsche Zeitung

Profil:Jörg Kukies

SPD-Banker in Scholz' Ministerium.

Von Cerstin Gammelin

Das Büro des Staatssekretärs Jörg Kukies im Bundesfinanzministerium sah fast zwei Jahre lang so aus, als sei da jemand nur auf der Durchreise. Zwei Tische, ein paar Stühle, wenige Akten, alles steril und unpersönlich. Nun aber hängt ein großes Gemälde des in Berlin lebenden britischen Künstlers Cameron Rudd an der Wand gegenüber dem Schreibtisch. Das Bild stammt aus Kukies' Privatbesitz, man sieht das Wasser des Wannsees. Kukies hat sich doch noch eingerichtet.

Das Bild ist ein Symbol dafür, dass es plötzlich gut läuft für den lange umstrittenen Quereinsteiger. Ohne dass es aufgefallen wäre, hat Jörg Kukies alle großen Krisenprojekte der Koalition auf seinem Schreibtisch liegen: das Paket für die Lufthansa, aber auch den wegen der Corona-Pandemie aufgelegten Fonds zur Rettung der deutschen Wirtschaft. Kukies saß für die Bundesregierung im Bundesverfassungsgericht, als die Richter das umstrittene Urteil zu den Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank sprachen. Jetzt führt er vertrauliche Gespräche, wie es umgesetzt werden könnte. Vor allem aber: Kukies hat den Kurswechsel in der deutschen Europapolitik mit erfunden. Der Plan, wonach die Europäische Union in großem Stil Schulden machen und diese Mittel als Zuschüsse an Mitgliedstaaten reichen kann, stammt aus seiner Abteilung.

Manche sagen, Jörg Kukies sei zum besten Mann von Olaf Scholz aufgestiegen. Lange hatte es nicht so ausgesehen, als wäre es eine kluge Idee gewesen, Kukies an die Spitze der Europaabteilung zu setzen. Der Neue war ja nicht einer jener Bürokraten, die turnusmäßig von einem Ministerium ins andere wechseln. Sondern einer aus der weltweit vernetzten Familie der Goldmen, also der Angestellten von Goldman Sachs. Wenn da einer die Seiten wechselt, stößt er oft auf Misstrauen, denn es heißt: einmal bei Goldman, immer bei Goldman. Mario Draghi, der einstige EZB-Präsident, ist diesen Vorwurf nie losgeworden.

Kukies war Co-Chef Deutschland von Goldman Sachs, einer der einflussreichsten Banker der Bundesrepublik. Anfang 2018 wandte sich Olaf Scholz mit dem Angebot an ihn, in den Staatsdienst zu wechseln. Dass das Vertrauen des vorsichtigen Hanseaten von Anfang an da war, mag daran gelegen haben, dass der Kontakt über Andrea Nahles zustande gekommen war. Die kannte Kukies, weil er einst ihr Vorgänger an der Spitze der Jusos in Rheinland-Pfalz war. Kukies bekam den Auftrag, die Abteilung für Europa- und Finanzpolitik umzubauen; der 52 Jahre alte Banker mit dem SPD-Parteibuch sollte allen sichtbar machen, dass das Ministerium unter Scholz zwar an der schwarzen Null festhalten, aber sonst eine andere Politik betreiben würde als unter dem Vorgänger Wolfgang Schäuble (CDU).

Am Anfang schien sich das Vertrauen in den Genossen Banker nicht auszuzahlen. Die Fusion von Commerzbank und Deutscher Bank scheiterte trotz seiner Kenntnisse. Das von ihm verhandelte eigene Budget für die Euro-Zone zeichnete sich dadurch aus, dass es zu klein und zu kompliziert war. Inzwischen ist es ganz verschwunden. Dass Deutschland grüne Anleihen ausgeben und so den Klimaschutz befördern will, hat sich als zähes Vorhaben entpuppt. Ob deutsche Finanzinstitute jetzt sicherer sind als früher, wird sich zeigen, wenn die Folgen der Corona-Pandemie klar sichtbar werden.

Man kann Kukies zugutehalten, dass er als Neuer an der Spitze einer eingeschworenen Abteilung einige Widerstände zu überwinden hatte. Noch dazu, weil sein Vorgänger von Scholz unsanft beiseitegeräumt worden war. Kukies hat stets betont, nicht des Geldes wegen, sondern aus Lust an der Sache die Seiten gewechselt zu haben. Ein Jahr hat er noch, um zu beweisen, dass es eine kluge Idee war, Europa das Schuldenmachen zu erlauben. So lange werden Frau und Tochter, die in Frankfurt wohnen, ihn noch öfter vermissen müssen.

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SZ vom 02.06.2020/cat
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