Jeremy Corbyn:Der zähe Altlinke steht unter Druck

Jeremy Corbyn Travels Crossrail For The North Route

Licht und Schatten: Labour-Chef Jeremy Corbyn.

(Foto: Getty Images)

Jeremy Corbyn hat die britische Labour Party zur größten sozialistischen Partei Europas gemacht. Vor dem Parteitag steht der Vorsitzende trotzdem in der Kritik - nicht nur wegen der Antisemitismus-Vorwürfe gegen ihn.

Von Cathrin Kahlweit, London

In Großbritannien ist Parteitagssaison. Immer im Herbst unterbricht das Parlament für ein paar Wochen seine Arbeit, weil Abgeordnete und Basis sich zu Diskussionsveranstaltungen und Streitgesprächen auf ihren jeweiligen Parteitagen treffen. Jeremy Corbyn, Oppositionsführer im Unterhaus und zugleich Chef der Labour-Partei, hat nach Liverpool geladen, und Tausende pilgern hin.

Anders als die Premierministerin liebt er die großen Auftritte, das Bad in der Menge, den direkten Kontakt mit Menschen, und die Menschen lieben ihn. Das war nicht immer so. Corbyn galt, als er 2015 nach der für Labour enttäuschenden Unterhauswahl zum Vorsitzenden gekürt wurde, als alter Zausel, ultralinks und unvermittelbar für die Mehrheit der Wähler. Seine unklare Haltung zum Brexit fanden viele EU-Befürworter unerträglich. Zeitweilig sah es so aus, als kippe die zweifelnde Partei ihn so schnell wieder aus dem Amt, wie sie ihn hineingehoben hatte.

Aber Corbyn ist zäh, er ist unbeirrbar. Er redet gut, er kann zuhören, er gibt Menschen das verführerische Gefühl, er sei ganz bei ihnen und nur für sie da. Und er hat einen unschlagbaren Vorteil: die Momentum-Bewegung, sein straff geführter Fantrupp, angeleitet vom erfahrenen Aktivisten Jon Lansman. Momentum organisierte Corbyn Mehrheiten, Momentum warb um Mitglieder. In einer Urwahl 2016 siegte Corbyn haushoch - auch, weil seine Fans zu Hunderten in die Partei eintraten. Mittlerweile ist Labour die größte sozialistische Partei Europas.

2017, auf dem Parteitag in Brighton, gab es Veranstaltungen, auf denen der ehemalige Gewerkschaftsfunktionär aus London gefeiert wurde, als jubelten Schlachtenbummler ihm auf dem Fußballplatz zu: "Oh, Jeremy Corbyn", sangen sie. In diesem Jahr tritt der Politiker schon vor dem offiziellen Beginn des Treffens als Einpeitscher auf, wenn Momentum zum Festival lädt: "The world transformed" will die Welt verändern. Und wie schon im vergangenen Jahr werden vor allem jugendliche Fans erwartet.

Und doch veranstaltet die Times in Liverpool eine Podiumsdiskussion, bei welcher der Frage nachgegangen wird, ob die Corbyn-Begeisterung am Abklingen sei. Und ob die Partei schon genug von ihm habe.

Denn tatsächlich ist der Mann aus London-Islington politisch arg unter Druck. Da ist zum einen der Antisemitismus-Vorwurf. Corbyn ist ein scharfer Kritiker der israelischen Besatzungspolitik in den Palästinensergebieten, setzt aber darüber hinaus antisemitischen Umtrieben in der Partei zu wenig entgegen. Parteiinterne Kritiker bezeichnen Labour unter Corbyn sogar als "institutionell antisemitische Partei". Viele jüdische Wähler haben sich mittlerweile abgewendet.

Problem Brexit

Viele seiner sonstigen Positionen sind in der Partei zwar durchaus mehrheitsfähig. Er gilt als klassischer Altlinker, als Feind der wirtschaftsfreundlichen Politik von New Labour unter Tony Blair, als Pazifist. Er verurteilt die Sparpolitik der Tories auf Kosten der Armen, er plädiert für die Rückverstaatlichung von Staatsbetrieben. Aber: Er sei im Herzen ein Aktivist, kein Politiker, räumen selbst Freunde ein - zu kompromisslos, zu verfangen in Vorurteilen und Netzwerken. Seine Gegner werfen ihm vor, die Partei nicht demokratisch zu führen, sondern mit den eigenen Anhängern zu durchsetzen und Kritiker systematisch zu entmachten.

Und dann ist da noch der Brexit. Corbyn, der seit den 70er-Jahren Lokalpolitik macht und seit 1983 im Parlament sitzt, war nie ein Brexit-Gegner; zu kritisch steht er der EU gegenüber, als dass er sich je klar für einen Verbleib in der Gemeinschaft ausgesprochen hätte. Die Mehrheit der Labour-Abgeordneten in Westminster sind jedoch Remainer. Sie werfen Corbyn vor, sich nicht offensiv genug gegen May zu positionieren. In einem Interview mit dem Sunday Mirror sagte Corbyn kurz vor dem Parteitag, wenn sich die Mehrheit der Parteimitglieder für ein zweites Brexit-Votum ausspräche, werde er entsprechend handeln. Corbyn selbst bevorzugt aber Neuwahlen; danach werde der Brexit neu verhandelt. Wo er dann stehen würde, sagt er nicht.

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