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Brasiliens Präsident, plötzlich Corona-Profiteur.

Von Sebastian Schoepp

Die eigene Erkrankung war sein vielleicht größter Propagandaerfolg. Mitte Juli meldete Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro, er habe sich mit Corona infiziert, was angesichts seines offensiven Verhaltens in der Öffentlichkeit nicht sonderlich überrascht hat. Nach zwei Wochen auf relativer Tauchstation verkündete er, der letzte Test sei negativ gewesen, er habe die Krankheit überwunden. Und das, obwohl Bolsonaros Lunge nach einer Messerattacke im Wahlkampf 2018 vorgeschädigt sein soll. Seitdem kann er sich als lebenden Beweis präsentieren, dass Covid-19 nichts anderes ist als eine gripezinha, eine kleine Grippe, wie er stets behauptet.

Der Erfolg stellte sich postwendend ein. Bolsonaros Umfragewerte gehen steil in die Höhe, zuletzt meldete das Umfrageinstitut Datafolha eine Zustimmungsrate von etwa 40 Prozent, mehr denn je seit seinem Amtsantritt. Am Samstag schrieb die Bolsonaro-kritische Zeitung Folha de S. Paolo, mit dieser Meldung habe der Wahlkampf für 2022 begonnen, Bolsonaro sei in einer guten Ausgangsposition. Der Präsident gewinnt vor allem dort an Boden, wo er bei der letzten Wahl schlecht abgeschnitten hatte, im armen Südosten. Bolsonaro kündigte am Wochenende an, sogleich 16 Provinzen besuchen zu wollen, um für sich zu werben.

Zwar hat die Kritik an ihm und seinem nichtexistierenden Pandemiemanagement nicht nachgelassen. In sozialen Netzwerken wird auch immer wieder gemunkelt, Bolsonaro habe die Krankheit nur vorgetäuscht. Doch zu beweisen ist diese Unterstellung ebenso wenig wie das Gegenteil. So hat Bolsonaro noch einmal richtig Gas gegeben auf seinem Kurs: Gegen eine Maskenpflicht in der Öffentlichkeit legte er ein Veto ein - das allerdings von einer Mehrheit im Kongress wieder gekippt wurde. In Geschäften, Kirchen, Schulen, Nahverkehr und anderen öffentlichen Einrichtungen gilt demnach landesweit Maskenpflicht. Bolsonaro, der in der Regel selbst das Tragen einer Maske verweigert, besteht darauf, dass die Effizienz dieser Maßnahme "fast null" sei.

Brasilien ist mit mehr als 3,5 Millionen Corona-Infizierten das Land, das nach den USA und Indien am schwersten betroffen ist. Allerdings verweist Bolsonaro gerne auf die Tatsache, dass es bei den Todeszahlen gemessen an der Bevölkerung weltweit auf Platz elf liegt, also hinter Ländern wie Spanien, Italien, Belgien, Schweden - und vor allem hinter dem Nachbarland Peru, wo drastische Einschränkungen das Leben beherrschen, der sogenannte R-Wert (der aussagt, wie viele Menschen ein Infizierter ansteckt) aber höher liegt als in Brasilien. Arme Peruaner können ihren Lebensunterhalt nicht mehr verdienen, Unterernährung breitet sich aus, Home-Office gibt es für sie nicht.

Vor diesem Hintergrund danken es Brasilianer in ärmeren Schichten ihrem Präsidenten geradezu, dass er die Wirtschaft nicht ganz heruntergefahren hat. Der Einbruch im Inlandsprodukt ist weniger dramatisch als in Peru oder Argentinien. Allerdings verweisen Experten auch darauf, dass die Testkapazitäten in Brasilien gering seien, vor allem in den Siedlungsgebieten der Indigenen, wo die Sterberate 2,5-mal höher sei als im Vergleich zur Gesamtbevölkerung. Trotzdem stimmte Bolsonaro kürzlich dagegen, für Indigene besondere Schutzmaßnahmen zu treffen.

Das entspricht seiner Grundhaltung, dass jeder im Leben selbst zurechtkommen müsse, staatlichen Eingriffen steht er ablehnend gegenüber, was ihn nach wie vor zum Liebling der Wirtschaftsbosse macht. Internationale Kritik weckt in Bolsonaro eher Widerspruch - und da weiß er ganz viele Brasilianer auf seiner Seite, ob links oder rechts. Die Meldungen über wieder aufflammende Brände in Amazonien etwa wies er zurück, die Entwaldung sei sogar zurückgegangen. Wie immer behauptete Bolsonaro, ausländische Agrarmächte wollten Brasilien schlechtmachen. Man wisse selbst am besten, wie "wichtig diese Region für uns alle ist".

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