Süddeutsche Zeitung

Profil:Jaime Vargas

Mächtiger Anführer der Indigenen in Ecuador.

Von Christoph Gurk

Es heißt, die Achua seien furchtlose Krieger. Und zumindest für Jaime Vargas dürfte das zutreffen. Am Sonntagabend saß er in Quito an einem Verhandlungstisch, mit Federkrone und Gesichtsbemalung, ihm gegenüber Lenín Moreno in zerknittertem Hemd und mit Augenringen. Ecuadors Präsident erklärte, man werde die Sparmaßnahmen zurücknehmen, gegen die seit knapp zwei Wochen Zehntausende Menschen demonstriert hatten. Es war eine Niederlage für Moreno und ein Sieg für Vargas.

Der 40-Jährige ist der Anführer der Konföderation der indigenen Nationen Ecuadors (CONAIE), der größten Dachorganisation der traditionellen Gemeinschaften in Ecuador und jetzt eine der Hauptkräfte bei den Protesten. Diese begannen vor knapp zwei Wochen. Ecuadors Präsident hatte per Dekret eine ganze Reihe von Sparmaßnahmen verabschiedet: Er kürzte den Urlaub der Staatsangestellten, baute Arbeitsschutzvorschriften ab und strich vor allem die Subventionen auf Treibstoff. Über Nacht wurde das Benzin so um ein Viertel teurer, der Preis für Diesel stieg sogar um mehr als 120 Prozent. Die Regierung wollte somit Milliarden einsparen. Ecuador ist hoch verschuldet, und Anfang des Jahres musste das Land darum einen Kredit beim Internationalen Währungsfonds aufnehmen. Erleichterungen für Unternehmen waren die Auflage, dazu aber auch Kürzungen bei den Ausgaben, vor allem der teure Diesel traf dabei die ärmsten Teile der Bevölkerung.

Als nach Eintreten der Sparmaßnahmen am 3. Oktober die Bus- und Taxifahrer streikten, schlossen sich schnell auch Gewerkschaften und Studentenvereinigungen den Protesten an, dazu rief aber eben auch die CONAIE ihre Mitglieder zum Widerstand auf. Gegründet Mitte der Achtzigerjahre ist sie heute längst eine feste Kraft in der Politik des Landes und hat in der Vergangenheit immer wieder zum Sturz von Präsidenten beigetragen. Ein Großteil der indigenen Gemeinschaften Ecuadors sind mittlerweile in der CONAIE organisiert, darunter auch die Achua, die ein dicht bewaldetes Gebiet im Amazonas zwischen Anden und dem Fluss Pastaza bewohnen.

Hier kam Jaime Vargas zur Welt, schon als junger Mann stieg Vargas in die Führung seiner Gemeinschaft auf, die heute noch etwa 18 000 Menschen umfasst. In der Provinzhauptstadt Puyo hat er Verwaltung und BWL studiert, Vargas hat die Rechte seiner Nation schon vor dem Interamerikanischen Gerichtshof vertreten, und seit 2017 ist er Vorsitzender der CONAIE. Sie kämpft heute für die Rechte der Indigenen in Ecuador, aber auch gegen den zunehmenden Raubbau von Bodenschätzen, der vor allem in indigenen Gebieten stattfindet. Viele Gemeinschaften fühlen sich von der Regierung verraten, dazu leben sie oft in abgelegenen Regionen, die Kürzungen der Subventionen treffen sie besonders hart.

Tausende folgten dem Ruf von Vargas und der CONAIE und kamen zu Protesten nach Quito. Die Demonstranten blockierten Straßen und zogen in Protestmärschen durch die Straßen. In der Folge kam es immer öfter zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei: Beamte wurden von Indigenen festgehalten, zugleich gingen Sicherheitskräfte mit Knüppeln gegen Demonstranten vor. Jaime Vargas und die CONAIE distanzierten sich von jeder Gewalt, zum Wochenende aber eskalierte die Situation, die Hauptstadt Quito versank im Chaos. Moreno verhängte eine Ausgangssperre, setzte das Militär ein, rief aber auch die indigenen Gruppen zum Dialog auf.

Die umstrittenen Sparmaßnahmen sollen nun neu ausgehandelt werden, unter Beteiligung der indigenen Gruppen. Viele Demonstranten hatten die Verhandlungen live im Fernsehen verfolgt, nach dem Rückzieher der Regierung tanzten und sangen sie auf der Straße. Sie feierten ihren Sieg - und sie feierten ihren Anführer Jaime Vargas.

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Quelle:
SZ vom 15.10.2019
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